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Türke raus!

Ein Schauerspiel in fünf Akten von der Provinzbühne Aachen Darsteller: Lokalpresse, ein unfähiger Verein, Trainer Mustafa Denizli  ■  Von Bernd Müllender

EPILOG: Sekt oder Selters. Man kennt das ja aus zahllosen Aufführungen. Bei Siegen stoßen alle euphorischen Jubel aus, baden sich im Scheinwerferlicht der Erfolgreichen. Klappt's nicht, ist die Empörung groß, die Besserwisser kommen aus ihren Löchern, die Neider, die Schlauberger, die Neunzigminutenmalklugen. Dann ist der Trainer schuld. Bei den maroden Alemannen aus Aachen wird derzeit ein besonders schmutziges Schauspiel aufgeführt.

Hauptdarsteller: die Provinzpresse und ein komplett unfähiger Verein. Nebenrollen: Trainer, Spieler, der Ball. Tragischer Held: Mustafa Denizli, der türkische Ball-Heros. Er muß zurück an den Bosporus. Türke raus! Raki oder Schmutzwasser.

1. AKT (VORSPIEL): „Begnadetes Idol mit majestätischer Attitüde“ nannten ihn die Medien im Herbst, oder „smarter Kosmopolit“ oder „neuer Kaiser vom Tivoli“, der „in einer 1001. Fußballer-Nacht geboren“ sein müsse. Da gewann die Alemannia, obwohl noch abgeschlagen Letzte der 2. Liga, mit ihrem neuen Trainer Mustafa Spiel auf Spiel mit kompromißlosem Angriffsfußball. Gemeinsame Jubel auf den Rängen bei deutsch-türkischen Fußballfesten. Der Glaube an den Retter hatte, bemerkte die 'FAZ‘, „biblische Züge“.

'Hurriyet‘ und 'Milliyet‘, jetzt immer am Tivoli, berichteten in der Türkei auf Seite 1 über den emigrierten Fußballhelden aus dem Bundesliga-Wunderland. Mit Galatasaray Istanbul schloß Alemannia ein Kooperationsabkommen. Der alte Werbepartner wurde vergrault, weil ein türkischer jetzt mehr zahlte, und ein türkischer Geschäftsmann wurde in den Vorstand gewählt.

Deutsch-türkische Freundschaft hieß es allerorten. „Für den würden wir auch Knoblauch essen“, jubelte einer der Kicker hingebungsvoll. Die Vereinsführung bekannte noch im Herbst, trotz Tabellenplatz 18, die Augen Richtung Bundesliga zu lenken. Lächerliche 11 Punkte Rückstand!

2. AKT (DRAMA): Dann: Verletzte und Sperren nach Platzverweisen, zwei Niederlagen in Folge, und das Gemurre nach aberwitzigen Erwartungen ging los. Leopold Chalupa, ein fachfremder Nato-Viersternegeneral, langweilte sich im Ruhestand und wurde neuer Präsident. Vorher kein Geld für eine Verstärkung, plötzlich - Existenzangst! - wurden gleich vier Spieler dazugekauft, Folge: Stammplatzangst in einem total aufgeblähten Kader, die Kicker erklärten sich tief verunsichert, weil Denizli je nach Gegner und Trainingseindrücken mit der Aufstellung wechselte. Dann eine Niederlage des neuen Clubs von Weltformat sogar in Unterhaching!

3. AKT (REALSATIRE): Vom „vorgeblichen 'Wundermann vom Bosporus'“ höhnte jetzt die Lokalzeitung, verdrängend, daß sie sich selbst zitierte. Im Gestochere nach Analysen die Presseerklärung: unter Denizli habe die Mannschaft nie Unentschieden gespielt, da könne was nicht stimmen.

Nur noch Haß und Hetze: Die Spielerbenotung, las man da, müsse entfallen „aus Fairneß gegenüber den Aktiven“, weil sie eine falsche „taktische Konzeption nicht wie gewohnt zur Geltung kommen ließ“: „Haben sie nicht zu verantworten.“ Sondern: Versager Denizli, der ja immer noch kein Deutsch könne, den man jetzt spöttisch-distanzierend einen „Cosmopoliten“ (mit C) nannte - und der jetzt weg müsse, denn „das deutsch-türkische Modell ist gescheitert“. Türke raus!

4. AKT (FINALE): Lange zierte sich der präsidiale Nato -Krieger Chalupa, Denizli abzuschießen, was bei Fortzahlung von über 20.000 Mark Monatsgehalt (Zweitligarekord) für den ohnehin hochverschuldeten Club ein Fiasko gewesen wäre. Als jetzt die Spieler auch noch gegen ihn spielten (neue Niederlage ohne Gegenwehr, und der Trainer „begrüßte küssend einige Landsleute“ - Lokalzeitung) „hat Herr Denizli um seine Entlassung gebeten“, so der Präsident am Montag.

Kein teurer Rausschmiß also, sondern „eine menschlich faire Lösung, bei der alle ihr Gesicht wahren können“. Dank noch, und schöne Worte für den Herausgeekelten, dessen fremden Namen Chalupa nach wie vor falsch ausspricht. Immerhin habe der Türke doch - schöne Fehlleistung - „mit dem Herzen an der Sache gehängt“.

17.000 Mark, rechnete die Lokalpresse noch süffisant vor, habe jeder Punkt den Club gekostet. Da wollte ein türkischer Journalist mit empörtem Nationalstolz aber wissen, wieviel es denn beim Vorgänger Rolf Grünther, dem fast total punktelosen Totalversager gewesen seien, dessen Erbschaft die Alemannia noch heute am Tabellenende hält. Mustafa Denizli, dem immer lächelnden, grundsympathischen Mann, („der Strahlemann“) war die Erleichterung deutlich anzumerken, das Aachener Abenteuer überstanden zu haben.

Er, der laut Lokalzeitung „in seiner Heimat immer noch als Fußball-Prophet gilt“, hat ein Traumangebot von Galatasaray Istanbul. Dort soll er den glücklosen Sigi Held ablösen. Es wäre das zweite Ende einer deutsch-türkischen Fußballfreundschaft in einem Aufwasch. Auch die Alemannia sieht sich jetzt heimatverbundener „auf dem deutschen Markt“ für „das Himmelfahrtskommando“ um.

5. AKT (LETZTER AUFTRITT): Der Vorhang fällt. Alle (mannia) ab - in die Amateurliga. (ENDE)

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