Zweiter gentechnischer Versuch am Menschen

US-Gesundheitsbehörde genehmigt Gentherapie: Bei Patienten mit der Immunschwächekrankheit „ADA-Defizienz“ soll das defekte Erbgut korrigiert werden / Kritiker bleiben skeptisch und fordern striktere Überwachung der Gentech-Anwendung durch Nicht-Mediziner  ■  Von Silvia Sanides

Der für Gentherapie verantwortliche Ausschuß des „Nationalen Gesundheitsinstituts“ (NIH) gab grünes Licht für einen Eingriff an Kindern, die unter einer schweren Immunschwächekrankheit, der sogenannten ADA-Defizienz, leiden. Die Krankheit wird durch das Fehlen des Enzyms „Adenosin Desaminase“ (ADA) hervorgerufen. Die herkömmliche Behandlung mit synthetischem Enzym oder mittels Knochenmarkstransplantation ist oft erfolglos. Bekanntestes Opfer der Krankheit ist der texanische „Bubbleboy“ David, der seine sieben Lebensjahre in einer keimfrei gehaltenen Atmosphäre unter einer Plastikglocke verbrachte. Weltweit sind höchstens 50 Menschen an ADA-Defizienz erkrankt.

Versuchsleiter Ken Culver erklärte gegenüber der taz, daß der NIH-interne Genehmigungsprozeß für den Eingriff noch nicht beendet sei. Man werde jedoch mit Sicherheit im Sommer mit dem Versuch beginnen können. Einspruch von Kritikern der modernen Gentechnologie erwarte er nicht, weil der Eingriff an Körperzellen und nicht an Keimzellen vorgenommen werde: „Der Versuch betrifft lediglich den Patienten. Er hat keine Auswirkungen auf andere Menschen oder potentielle Nachkommen der behandelten Kinder.“

Rechtsanwalt Andrew Kimbrell ist jedoch anderer Meinung. Kimbrell ist Mitarbeiter von Jeremy Rifkin, dem führenden Gentech-Kritiker der USA. „Wir ziehen keine Linie zwischen dem gentechnischen Eingriff an Keimzellen und Körperzellen“, erklärt Kimbrell. Auch der Eingriff an Körperzellen, sagt Kimbrell, „kann mißbraucht werden, die Gefahr der Eugenik ist unübersehbar“. So könnten Versicherungen und Arbeitgeber Druck auf Mitglieder und Angestellte ausüben, einen gentherapeutischen Eingriff vornehmen zu lassen. Ein Chemiekonzern beispielsweise stellt fest, daß ein zukünftiger Angestellter auf eine bestimmte Substanz allergisch reagiert. Durch einen gentechnischen Eingriff kann die empfindliche Reaktion gestoppt werden. Anstatt für einen saubereren Arbeitsplatz zu sorgen, verlangt der Konzern deshalb, daß sich der Bewerber der Behandlung unterzieht, wenn er eingestellt werden will. Ähnliche Forderungen könnten Lebens- und Krankenversicherungen an zukünftige Mitglieder stellen. Die Gepflogenheit einiger US -Konzerne, in den 50er Jahren nur Frauen einzustellen, die sterilisiert waren, zeige, was alles möglich sei.

An dem jetzt genehmigten Eingriff bei ADA-Defizienz -Patienten sei grundsätzlich nichts einzuwenden, meint Kimbrell. Es handle sich offensichtlich um eine schwere Krankheit, deren Behandlung für die Betroffenen nur von Vorteil sein könne. Trotzdem werden die Gentherapie-Kritiker die Verhandlungsprotokolle des Genehmigungsverfahrens überprüfen, sobald sie veröffentlicht werden. Kimbrell: „Wir werden auch diesmal gerichtlich einschreiten, wenn sich herausstellt, daß der NIH-Ausschuss überstürzt gehandelt hat, oder wenn es Mängel im Versuchsaufbau gibt. Wir werden nicht erlauben, daß diese Kinder als Versuchskarnickel mißbraucht werden.“ Darüber hinaus erneuern die Kritiker ihre Forderung nach einem unabhängigen Gremium, das gentechnische Eingriffe am Menschen überwacht und sich mit ihren sozialen Auswirkungen befaßt. Mitglieder des Gremiums sollen Behinderten- und Frauengruppen ebenso repräsentieren wie Bürgerrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Verbraucher. „Wir brauchen einen Puffer zwischen der Forschung auf diesem Gebiet und ihrer Anwendung in der Gesellschaft“, fordert Kimbrell. Der Versuchsleiter des Experiments, Culver, ist überzeugt, daß die Kritiker keinen Grund finden werden, seinen Versuch zu beanstanden. Er und seine Kollegen werden den Patienten bestimmte weiße Blutzellen, die T-Zellen, entnehmen, die das defekte Gen tragen. Im Reagenzglas sollen die Zellen mit einem bei Mäusen auftretenden Virus versetzt werden, in dessen Erbmaterial zuvor das korrekte ADA-Gen eingesetzt wurde. Das Virus kann menschliche T-Zellen infizieren, soll aber unschädlich gemacht werden. Es dient in dem Versuch lediglich als Träger für das gesunde Gen. In den so präparierten T-Zellen, die den Patienten wieder zugeführt werden, soll das gesunde Gen dann das ADA-Enzym synthetisieren. Es besteht ein Restrisiko - dies räumt Culver ein - daß die behandelten Zellen kanzerogen werden und einen Tumor verursachen könnten.

Die Bedenken, ein künstlich eingepflanztes Gen könne sich samt Virustransporter - selbständig machen und dabei andere als die geplanten Zellen infizieren, also ungeahnte Auswirkungen zur Folge haben, teilt Versuchsleiter Culver nicht. Dies sei bei anderen gentherapeutischen Experimenten eventuell möglich, aber nicht, wenn „lediglich ein defektes Gen mit seinem gesunden Gegenstück ergänzt wird“.