Für eine Außenpolitik der Bürger!

■ Ein Gespräch mit Jaroslaw Sabata, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung, einem der bekanntesten Sprecher der Charta77

I N T E R V I E W

taz: Eben kommen Sie von einem Treffen Havels mit Walesa an der polnisch-tschechischen Grenze zurück. Welche Ergebnisse sehen Sie?

Sabata: Mir kam es vor allem darauf an, daß das Treffen ein Beitrag zur „Bürgerbegegnung“ wurde. Der Helsinki-Prozeß darf diese nichtstaatliche, zivile Komponente nicht verlieren. Wir haben die Idee einer Versammlung unabhängiger Bürgerinitiativen aus Europa in Prag ins Gespräch gebracht, und sie wurde auch im Kommunique festgehalten. Havel hat bei der Begegnung davon gesprochen, daß der Staatsmann niemals den „Bürger“ in sich vergessen dürfe. Das war sehr schön.

Wie reagierte die polnische Seite auf solche Art von „Volksdiplomatie“?

Im Augenblick gibt es in der Umgebung von Walesa keinen allzu großen Enthusiasmus. Hingegen unterstützen Michnik und seine Freunde von der 'Gazeta Wyborcza‘ diese Initiativen.

Wie beurteilen Sie den Zug der polnischen Außenpolitik, sich gegenüber einem vereinten Deutschland - auch militärisch - stärker auf die Sowjetunion zu stützen?

Diese Einschätzung scheint mir überspitzt. In Polen herrscht sehr große Unruhe u.a. wegen der ungeklärten Grenzfrage. Die unterschiedlichen Akzente bei den Polen und uns kann man daran sehen, daß in dem polnischen Erklärungsentwurf zu unserem Treffen nur von der Sicherung der Grenzen die Rede war, nicht aber von Deutschland. Unsere Haltung ist - wie Sie wissen - seit dem Prager Appell der Charta 77 immer die gleiche gewesen: keine Vereinigung Europas ohne die Einheit Deutschlands.

Gibt es Unterschiede in der Beurteilung der „gesellschaftlichen“ Komponente der Außenpolitik?

Auf jeden Fall. Uns beschäftigen intensiver die konkreten Probleme des Zusammenwachsens von ganz Europa. Natürlich betrachten wir die Aufgaben der Staatsmacht und der „zivilen“ Gesellschaft nicht als gegensätzlich. Sie sind komplementär. Aber sie stehen auch in einem Spannungsverhältnis.

Zur Sowjetunion. Ich hatte den Eindruck, daß Sie mit Ihrer Idee eines neutralen Deutschlands auch innerhalb des Warschauer Vertrages isoliert ist.

Die Sowjetunion hat sich noch nicht ganz von den überkommenen außenpolitischen Schemata gelöst. Sie arbeitet an neuen Lösungen, aber bis jetzt ist der Wille stärker als das Ergebnis. Für die Sowjetunion handelt es sich eben gleichzeitig um das Problem der baltischen Staaten und Georgiens, d.h. ihrer eigenen zukünftigen Struktur.

Die Außenpolitik wird zur Innenpolitik...

Wenn die Sowjetunion den baltischen Staaten die Souveränität zugesteht, wird sie auch Mitteleuropa und die deutsche Frage mit anderen Augen sehen. Bei meinen Unterhaltungen mit sowjetischen Politikern konnte man den Wandel in den Auffassungen spüren. Aber Schewardnadze kann nicht nach Hause kommen und erklären: Ich bin für die Nato -Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands. Das geht nicht!

Könnte eine Lösung darin bestehen, daß ein faktisch entmilitarisiertes Deutschland Mitglied der Nato wird?

Das ist eine abstrakte Perspektive. Der Westen ist noch nicht so weit, daß er eine solche antimilitaristische, d.h. auch demokratisch geprägte Politik übernehmen könnte. Gerade auf diesem Feld wird sich die „bürgerliche“ Dimension der politischen Arbeit entfalten müssen.

Versäumen wir eine historisch einmalige Chance für die Entmilitarisierung der Gesellschaften?

Manchmal sind wir versucht zu glauben, daß der ganze Weg Europas zur Demokratie hin schon siegreich beendet wurde. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen die sich eröffnenden Chancen erst nutzen!

Interview: Christian Semler