Tiefflug-Ausstieg durch die Hintertür?

Stoltenberg überprüft Stopp der Militärflüge unter 300 Metern / Tieffluggegner sehen Teilerfolg mit kritischen Konsequenzen  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Das Bundesverteidigungsministerium ziert sich zwar noch, es offiziell einzugestehen, aber Werner May, Sprecher der Bundeskoordination der Tieffluggegner, nimmt schon heute jede Wette an: Noch vor den Bundestagswahlen im Dezember wird die Bonner Hardthöhe die Tiefflüge unterhalb von 300 Metern stoppen.

Am Montag wanden sich Stoltenbergs Sprecher zwar noch, den geordneten Rückzug der Bundesluftwaffe aus den sieben Tiefstflugzonen der Republik anzukündigen, aber immerhin ist schon von einer veränderten militärischen Situation durch den Umbruch in Osteuropa die Rede und von einer Überprüfung des Tiefflugkonzepts.

Sollten die Bonner Kriegsstrategen in absehbarer Zeit tatsächlich zu der Entscheidung kommen, daß das himmlische Roulette ihrer Tiefflugpiloten unterhalb von 300 Metern beendet werden kann, dann sehen die Tieffluggegner darin eher einen „Abschied durch die Hintertür“. „Der Hinweis auf die veränderte militärische und politische Situation ist für Stoltenberg nur ein Vorwand, um überhaupt aus dem Schlamassel rauszukommen“, urteilt Tiefflugexperte May nicht ohne Schadenfreude. Das Verteidigungsministerium würde damit nämlich nur einen Wahnsinn beenden, der ihnen vielerorts von Verwaltungsgerichten ohnehin schon verboten wird. Längst nämlich ist die Luft für die Militärjets in der Höhe zwischen 75 und 300 Metern dünn geworden. Drei verschiedene Gerichte quer durch die Republik haben die donnernden Übungsflüge der Luftwaffe unterhalb der 300-Meter-Grenze für rechtswidrig erklärt und zumindest für die klagenden Gemeinden ein Überflugverbot verhängt. Und eine Prozeßflut, die den Tiefflugkorridor bis zur Unkenntlichkeit zerlöchern könnte, steht dem Verteidigungsministerium erst ins Haus: Mindestens 36 Gemeinden und Landkreise in den sieben Tiefstflugregionen haben bereits Klagen angekündigt, und allein im Münsterland wollen sich rund 400 Privatpersonen gerichtlich gegen die donnernde Beschallung durch die Militärjets wehren. Kürzlich mußten überdies die Tiefflugpiloten selber in einer Studie eingestehen, daß sie pro Flug nur ganze eineinhalb Minuten lang auf die Untergrenze von 75 Metern runterdüsen könnten. Der Ausbildungswert solcher aufwendigen und riskanten Unternehmungen sei damit äußerst gering.

Wenn das Verteidigungsministerium jetzt irgendwann den heimlichen Rückzug antritt, dann sehen die Tieffluggegner dennoch einen Teilerfolg ihres Engagements. Allerdings wird ein solcher Rückzieher aus Bonn auch der Anti-Tiefflug -Bewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Denn ist auch die Mindestflugtiefe der Militärjets auf 300 Meter festgelegt, bleibt das Hauptärgernis von oben: der Krach.

Die Tiefflüge selber aber, so vermutet Werner May von der Bundeskoordination, werden damit nicht weniger. Die Piloten müßten nach wie vor ein bestimmtes Trainingspensum absolvieren. Die Flüge würden dann oberhalb der 300 Meter -Grenze duchgeführt und nur nicht mehr so hörbar sein. Der Dreckausstoß der Maschinen sei aber derselbe, und auch die Absturzgefahr, so mutmaßen die Tiefluggegner, würde nicht geringer, denn oberhalb von 300 Metern könnten sich die Jets dann bedrohlich ins Gehege kommen.

Und noch eine andere Gefahr sehen die Tieffluggegner. Die Pläne für die Verlagerung des Tiefflugs in ein großes Nato -Trainingscenter würden dann sicher forciert voran getrieben werden. Als Standorte für dieses Tiefflugzentrum sind seit Jahren die „Goose Bay“ im kanadischen Labrador im Gespräch und der Stützpunkt Konya in der Türkei. Nach bisher unbestätigten Informationen soll bei dem letzten Treffen der Nato-Verantwortlichen der Standort Türkei den „Zuschlag“ bekommen haben. Die USA und die Bundesrepublik sollen sich bei der Abstimmung enthalten haben.