Waldorfpädagogik verstaatlichen?

■ Elterninitiative will auf Staatsschulen Waldorfklassen einführen, weil Waldorfschulen überlaufen sind / Schulverwaltung ist nicht begeistert

Waldorfpädagogik auch an staatlichen Schulen - das wollen nun Zehlendorfer Eltern erreichen, die ihre Kinder nicht auf eine der musisch und ganzheitlich orientierten Waldorfschulen schicken können oder wollen.

Eine Elterninitiative hat jetzt den Antrag gestellt, an Zehlendorfer Grundschulen zum Schuljahresanfang im Herbst 1990 eine „waldorforientierte Klasse“ einzurichten. Argument der waldorfbegeisterten Eltern: An den vier Waldorfschulen in Berlin gibt es zum Herbst 1990 etwa 120 freie Plätze, denen etwa 400 Bewerber gegenüberstehen. Da „Geschwisterkinder“ bevorzugt werden, gibt es für viele Kinder keine Chance, jemals in einer Waldorfschule unterzukommen. Da viele Eltern aber dennoch die Waldorfpädagogik für ihre Sprößlinge bevorzugen, wollen sie eine solche Erziehung auch an staatlichen Schulen gesichert sehen.

Auf Bezirksebene in Zehlendorf haben die Eltern dabei eine „fraktionsübergreifende gute Resonanz“ gefunden, sagt Roger Schlag von der „Elterninitiative zur Einrichtung 'waldorforientierter Klassen‘ in Zehlendorf“. Zehlendorfer Politiker fänden die Idee gut, und es sei überhaupt kein Problem, genug Kinder und Eltern zusammenzubringen, um eine Klasse zu füllen. Auch in manchen Zehlendorfer Schulen sei man dem Vorhaben nicht abgeneigt, heißt es von der Initiative. Aber „die Kompetenzen für eine solche Entscheidung liegen eindeutig hier bei uns“, stellt nun erst einmal Hans Brand, Leitender Oberschuldirektor bei der Senatsverwaltung für Schule, fest.

Weniger eindeutig ist die Meinung in der Verwaltung über waldorforientierte Klassen; zwar habe man „keine Berührungsängste“ mit Dingen, die sich integrieren lassen, aber es sei „Vorsicht geboten“, weil die Waldorfpädagogik auf einer „ideologischen Grundlage“ arbeite, die inhaltlich und methodisch „sehr weit weg“ sei von staatlichen Schulen. Vom Antrag der Zehlendorfer Eltern wissen die MitarbeiterInnen noch gar nichts.

Was den Eltern vorschwebt als „waldorforientierter“ Unterricht, zählt Roger Schlag auf: eine Zusatzausbildung für die LehererInnen, eine verstärkte Mitarbeit der Eltern und eine „Ganzheitlichkeit“ des Unterrichts. „Der Rhythmus des Tages soll miteinbezogen werden, der Unterricht darf den Tag nicht zu stark zergliedern“ - also kein Zehnkampf mit Themenwechsel alle 45 Minuten. In den sechs Jahren Grundschule soll der Versetzungszwang wegfallen, und Beurteilungen sollen nicht durch Noten, sondern durch schriftliche Einschätzungen erfolgen.

All das sei aber gar nicht so neu und werde in regulären Grundschulen schon teilweise praktiziert, hält Mascha Kleinschmidt, Oberschulrätin beim Senat, dagegen. Auch in sogenannten „musischen Klassen“ in der Teltow-Grundschule in Schöneberg habe man bereits versucht, Elemente der Waldorfpädagogik zu übernehmen, aber auch klare Abgrenzungen mit Blick auf Rahmenplan und Grundschulordnung gezogen. „Es hat beides gegeben“, sagt Kleinschmidt, „positive und negative Erfahrungen. Über die Methodik und über die Weiterführung des Projekts müssen wir noch reden.“

Ein regelrechter Schulversuch zur Waldorfpädagogik, wie ihn die Elterninitiative wünscht, sei schwer zu machen, beschied ablehnend auf Anfrage die Schulverwaltung

Bernhard Pötter