„Wir befinden uns in einem offenen Gefängnis“

■ Großdemonstration am Sonnabend zur Verhinderung des neuen AusländerInnengesetzes / Die Angst vor Schäubles Gesetzentwurf überschattet die Wut über das zögerliche Taktieren des Senats beim AusländerInnenwahlrecht / Kritik daran kommt auch vom DGB

Mit einer Großdemonstration am Sonnabend, an der sich auch Ausländerorganisationen aus Ost-Berlin beteiligen, will das Aktionsbündnis Türkischer Selbsthilfe- und Betroffenenorganisationen gegen die drohende Verabschiedung des neuen Ausländergesetzes protestieren. Auch die Koalitionsparteien SPD und AL haben sich dem Demonstrationsaufruf angeschlossen. Der im Dezember letzten Jahres vom Bundeskabinett abgesegnete Gesetzentwurf durchläuft zur Zeit im Eilverfahren Bundesrat und Bundestag. Die zweite Lesung im Bundestag ist für den 25. April vorgesehen.

Die in der Bundesrepublik und Berlin lebenden ImmigrantInnen sehen ihre Rechte durch das geplante Ausländergesetz stark bedroht. „Wir befinden uns in einem offenen Gefängnis für Immigranten“, sagte Kenan Kolan vom Koordinationsausschuß des Aktionsbündnisses. Das neue Ausländergesetz legt beispielsweise fest, daß Familienmitglieder nur dann nachziehen dürfen, wenn „ausreichender Wohnraum“ nachgewiesen wird. Die Folge: Wer arm ist und von Sozialhilfe lebt, läuft Gefahr, ausgewiesen zu werden.

Der ausländerpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Eckardt Barthel, meinte, das neue Gesetz würde in keinster Weise zum inneren Frieden beitragen und die Ausländer nicht integrieren, sondern verstärkt ausgrenzen. Jürgen Strohmaier vom Ausländerbereich der AL forderte den Senat auf, massiver auf den Bundesrat einzuwirken, um das Gesetzgebungsverfahren zu verzögern und das Eilverfahren zu stoppen.

Die Großdemonstration, zu der auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aufruft, beginnt am kommenden Samstag um 13.30 Uhr am Fehrbelliner Platz.

Überschattet von der Debatte um das neue Ausländergesetz wurde der Beschluß von SPD-Vorstand und -Fraktion, über die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts nicht vor der Hauptentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) abzustimmen. Das BVG-Urteil wird gegen Ende des Jahres erwartet, in den Koalitionsvereinbarungen vom März letzten Jahres war die „unverzügliche“ Einführung des kommunalen AusländerInnenwahlrechts vorgesehen.

Wenig überrascht zeigten sich Vertreter der Gewerkschaften, die in der Vergangenheit immer wieder die umgehende Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts gefordert hatten. Necati Gürbacca, Gewerkschaftssekretär der IG Metall, kritisierte den Beschluß von SPD-Vorstand und -Fraktion als „Hinhaltetaktik“. In Zeiten zunehmender Ausländerfeindlichkeit hätte er sich ein „klareres Signal“ seitens der Sozialdemokraten gewünscht. Im Ausländerausschuß des DGB müsse man sich nun überlegen, wieder verstärkt mit Aktionen zum kommunalen Ausländerwahlrecht an die Öffentlichkeit zu gehen, erklärte der Leiter der DGB -Ausländerberatungsstelle, Wolfgang Stransfeld. Allerdings, schränkte Stransfeld ein, fühlten sich die ausländischen KollegInnen durch die Verabschiedung des neuen Ausländergesetzes stärker bedroht als durch die Nichteinführung des kommunalen Ausländerwahlrechts. Mit harscher Kritik am SPD-„Verzögerungsbeschluß“ reagierten AL -Fraktion und der AusländerInnenbereich der AL. Letzterer gehe davon aus, daß die AL-Fraktion ihren Gesetzesantrag weiter aufrechterhalte und „die Verabschiedung vorantreibt“.

Julia Schmidt/taz