Oscars für Harmloses

■ Der Sieger heißt „Driving Miss Daisy“, eine den Rassismus verharmlosende Theaterverfilmung

Mit insgesamt vier Oscars wurde am Dienstag Driving Miss Daisy von Bruce Beresford ausgezeichnet, die betulich -harmlose Geschichte der Freundschaft zwischen einer schrulligen, reichen jüdischen Südstaaten-Lady (die alte Jessica Tandy) und ihrem schwarzen Chauffeur Hoke (Morgan Freeman). Der Film präsentiert den Rassismus als unangenehme Begleiterscheinung: Die beiden mögen sich nach anfänglichen Streitigkeiten wirklich sehr, nur schade, daß Hoke allein in der Küche essen muß und Miss Daisy allein im Speisezimmer. Driving Miss Daisy tut so, als sei Apartheid eine Naturgewalt, nicht eine von den Weißen inszenierte Religion. Der Film vermeidet Konflikte: Miss Daisy geht zum Empfang von Martin Luther King, ihr Chauffeur wartet draußen. Probleme hat die Miss damit nicht - so mag es gewesen sein in den Südstaaten vor 25 Jahren. Aber warum der Zuschauer heute nicht behelligt wird mit dem Problem, daß Miss Daisy zwar sympathisch, aber eine Rassistin ist, bleibt Geheimnis des Regisseurs: Die Szene bricht ab.

In der nächsten ist Jessica Tandy zehn Jahre älter, eine verwirrte Greisin mit strähnigem weißen Haar und zuviel Theaterschminke im Gesicht. Ein Oscar fürs Makeup, einer für die 80jährige Jessica Tandy und Weichzeichner bis zum Ende. Daß der Rassenkonflikt in den USA auch weniger harmlose Folgen hatte und immer noch hat, kann man sich nach Driving Miss Daisy kaum noch vorstellen.

Somit gingen die meisten Oscars 1990 an einen seichten konventionellen Hollywood-Film. Selbst eine Entscheidung für den Vietnam-Film von Oliver Stone Born on the fourth of July (der nur den Preis für die beste Regie bekam) wäre mutiger gewesen: Über Stones Ehrenrettung der Kriegsveteranen, über seinen Entschuldigungsfilm für Soldaten aller Couleur (Moral: Soldaten sind Opfer) läßt sich wenigstens streiten.

Ernsthafte Konkurrenz hatte Driving Miss Daisy sowieso nicht zu befürchten. Die besten amerikanischen Filme der letzten Saison (Mystery Train von Jim Jarmusch, Soderberghs Sex, Lies and Videotapes, Spike Lees Do the right Thing und der neue Woody Allen) waren erst gar nicht richtig nominiert worden: Lee - in dessen Film es, anders als bei Beresford, tatsächlich um Rassismus geht Soderbergh und Allen tauchten nur in der Kategorie „Drehbuch“ auf, nicht unter „Bester Film“ und „Beste Regie“.

Der Dokumentarfilm-Oscar ist ebenfalls nicht viel wert. Gewonnen hat ihn die Aids-Dokumentation Common threads: Stories from the Quilt. Verdient hätte ihn Michael Moores Doku-Komödie Roger and Me über die Werkschließungen von General Motors in Flint/Michigan. Auch diese - kommerziell erfolgreiche - pfiffige Dokumentation im Verleih der Warner Bros. warr nicht nominiert worden. Dagegen hatten zwar 40 amerikanische Dokumentarfilmer bereits vor der Oscar -Verleihung protestiert - und sie hatten darauf aufmerksam gemacht, daß der Dokumentarfilmverleiher Mitchel Block als Mitglied des Oscar-Komitees seit Jahr und Tag die Filme seines eigenen Verleihs bevorzugt. Hollywood scherte sich nicht drum und schenkte sein Herz (und die begehrten Statuetten) lieber dem Leichtverdaulichen: Bester Darsteller wurde Daniel Day Lewis für seine Rolle als fast völlig gelähmter Maler und Schriftsteller in Jim Sheridans Sozio -Melodram My left foot.

Den passenden Kommentar zur Feier des Zweitrangigen sprach, unfreiwillig, Akira Kurosawa, dem der Ehren-Oscar für sein Lebenswerk überreicht wurde: Er glaube immer noch nicht, „den Film zu verstehen. Ich will aber weiterarbeiten, um endlich das Wesen der Kinematographie zu begreifen und eines Oscars würdig zu werden“. Von Oscars mit Würde kann in diesem Jahr weniger denn je die Rede sein.

Christiane Peitz