Peking redet um Perestroika herum

Außenminister Gian Gichen hält es für „schwierig“, ein Urteil über die Entwicklung in Osteuropa zu fällen / Der in der US-Botschaft beherbergte Fang Lizhi soll Schuld eingestehen und „sich bessern“  ■  Aus Peking Boris Gregor

Peking windet sich nach wie vor um eine öffentliche Stellungnahme zu den Ereignissen in Osteuropa. Während interne Partei- und Regierungszirkel den Verfall des Sozialismus in den ehemaligen Bruderländern als Erfolg der vom Kapitalismus ausgelösten „friedlichen Revolution“ und als Folge der „revisionistischen Politik“ Moskaus geißeln, scheute sich gestern Außenminister Gian Gichen vor einer Stellungnahme. Die politischen Veränderungen seien so groß, daß es für die chinesische Führung schwierig sei, ein Urteil zu fällen. China, so Gian vor Journalisten in der Großen Halle des Volkes, beobachte nach wie vor das Geschehen; es wäre nicht angebracht, etwas ohne sorgfältige Prüfung zu kommentieren.

Grund für das schon lächerlich wirkende Eingeständnis der Unfähigkeit, den nun mittlerweile jahre- bzw. monatelangen Reformprozeß zu beurteilen: Peking müßte die Abkehr von der reinen Lehre scharf kritisieren, hat es doch nach dem Tiananmen-Massaker einen harten ideologischen Kurs demonstriert. Dies aber würde das Verhältnis zu manchen osteuropäischen Staaten noch mehr trüben. Daran kann Peking nicht interessiert sein, weil es sich derzeit bemüht, aus der außenpolitischen Isolation herauszukommen.

Auch Ministerpräsident Li Peng wird sich deshalb wohl öffentlicher Kritik an Perestroika und Glasnost enthalten, wenn er Ende April nach Moskau reist. Gian Gichen bestätigte auf seiner Pressekonferenz erneut das Datum der Tour und gab sich optimistisch, daß Li und seine sowjetischen Gastgeber sich endgültig über die gegenseitige Reduzierung von Truppen an der sino-sowjetischen Grenze einigen.

Weniger freundlich klang, was Pekings Außenminister über den nach wie vor in der US-Botschaft beherbergten Intellektuellen und vermeintlichen Konterrevolutionär Fang Lizhi zu sagen hatte. Fang müsse sich „moralisch bessern“ und seine „Schuld so schnell wie möglich zugeben“. Um das Problem zu lösen, müsse die amerikanische Seite die Initiative ergreifen, denn sie verstieß mit der Aufnahme Fangs und seiner Frau gegen internationale Gesetze. Damit scheint sich die Position der Pekinger Führung zu verhärten. Noch vor wenigen Wochen nämlich hatten die Genossen erklärt, beide Seiten müßten sich bemühen, die Frage zu klären.