„Versuchskaninchen für AKW“

■ Schon 1974 warnte der Mainzer Finanzminister Gaddum Ministerpräsident Kohl vor AKW

Mainz (taz) - Johann Wilhelm Gaddum (CDU), heute im Vorstand der Bundesbank, witterte schon früh den Ärger um das AKW Mülheim-Kärlich. Noch als Mainzer Finanzminister - 1974 warnte er daher seinen Mainzer Ministerpräsidenten Helmut Kohl vor einer Genehmigung. „Lieber Helmut“, schrieb er am 23. September 1974, „meine Bedenken, daß wir hier in Rheinland-Pfalz Versuchskaninchen sein sollen, haben sich eher bestätigt als abgeschwächt.“ Das geplante AKW in Mülheim-Kärlich, so glaubte der Finanzminister, „ist nicht vertretbar“. Gaddums Einwände beschäftigen seit gestern den Mainzer U-Ausschuß „AKW Mülheim-Kärlich“. Das Gremium durchleuchtet, wie es zur Erteilung der später als rechtswidrig verworfenen 1. Teilgenehmigung des Meilers kam.

Gaddum versuchte vergeblich, Kohl vom Risiko des AKW -Projekts zu überzeugen. Der Finanzminister hatte in Erfahrung gebracht, „daß die amerikanische Herstellerfirma Babcock und Wilcox bisher keine Erfahrung hat im Bau von Reaktoren der bei uns anstehenden Größenordnung“. Außerdem, so Gaddum, habe auch „das Unternehmen Brown Boveri & Cie AG in Mannheim, das diesen Bau für uns erstellt, überhaupt keine Erfahrung im Bau von Leichtwasser-Kernkraftwerken“ wie in Mülheim-Kärlich.

Kohl sah das anders. Ebenso sein Nachfolger Bernhard Vogel (CDU). Dessen Kabinett betrieb die Genehmigung des AKWs gar mit größter Eile, wie aus ministeriellen Unterlagen ersichtlich ist. Als 1979 die Entscheidung anstand, das Verfahren noch einmal von vorne aufzurollen, wiegelte Vogels Ministerrat ab: „Von einer erneuten Durchführung“ des Genehmigungsverfahrens wolle man „im Moment absehen“, so ein Protokoll vom 18. Dezember 1979. Das Kabinett fürchtete: „Ein neues Verfahren über die Gesamtanlage wäre prozeßrechtlich problematisch und tatsächlich wenig erfolgversprechend.“ Denn im neuen Verfahren gelte der „neueste Stand der Technik“, auf den die Anlage nach Angaben des Betreibers RWE kaum noch in allen Teilen zu bringen ist. Ein eigenes atomrechtliches Verfahren war laut Kabinett „zwar möglich“, widerspreche aber der bisherigen „zentralen Argumentation des Landes“.

Weitere Ungereimtheiten ergeben sich aus einem Vermerk der Ministerien für Wirtschaft und Umwelt vom 25. Januar 1980. Betont die jetzige Landesregierung noch immer, nur die als rechtswidrig verworfene 1. Teilgenehmigung (TG) müsse per Erörterung korrigiert werden, so kamen die Ministerien 1980 zu einem ganz anderen Schluß: Auch die 2. TG sei „rechtswidrig“.

Aus allen dem Untersuchungsausschuß bislang vorliegenden Erkenntnissen drängt sich der Eindruck auf: die Mainzer Landesregierung versuchte schon zu Kohls Zeiten, die Genehmigung möglichst reibungslos durchzuziehen. Davon zeugt auch das Schreiben, das der zuständige TÜV Rheinland am 20.August 1974 erhielt: „Wir werden nicht nur vom RWE, sondern auch von den höchsten Landesstellen auf Abschluß des Genehmigungsverfahrens gedrängt.“

jow