Gorbatschow: Marktwirtschaft her
■ Erste Sitzung des neuen Präsidialrats / Gorbatschow will Finanzsystem umgestalten / Politbüro wird abgeschafft / Parteipräsident statt Generalsekretär / Föderationsratstagung diese Woche
Moskau (ap/afp) - Der Präsident der UdSSR, Michail Gorbatschow, hat gestern auf der ersten Sitzung des neuen Präsidialrats, der ihm zur Seite steht, die Einführung der Marktwirtschaft für die Sowjetunion gefordert. Das sowjetische Fernsehen meldete, Gorbatschow habe nach radikalen Maßnahmen in der Wirtschaftsreform gerufen und dem Rat die Aufgabe gestellt, daran mitzuarbeiten. Es sei nötig, das Finanzsystem in der Sowjetunion umzugestalten, das Defizit im Staatshaushalt auszugleichen und eine Preisreform einzuleiten. Das müsse schnell gehen, forderte er.
Die Tage des Politbüros der Kommunistischen Partei, das die Sowjetunion während langer Jahre regiert hat, sind gezählt. Ein neues Parteistatut, das gestern von der Parteizeitung 'Prawda‘ veröffentlicht wurde, sieht die Abschaffung des Politbüros zugunsten eines Parteivorstandes vor. Das Amt des Generalsekretärs der KPdSU, das derzeit von Staatschef Michail Gorbatschow bekleidet wird, soll in den Posten eines Parteipräsidenten umgewandelt werden. Diese weitgehenden Änderungen sind die Folgen der vom Kongreß der Volksdeputierten vor zwei Wochen befürworteten Trennung von Staat und Partei.
Der „Föderationsrat“ der UdSSR, ein neugeschaffenes Gremium aus Vertretern der 15 sowjetischen Republiken, wird noch in dieser Woche zu seiner ersten Sitzung zusammentreten, kündete Gorbatschow am Dienstag an. Der Föderationsrat werde sich dann mit der Situation in den baltischen Teilrepubliken und Transkaukasien beschäftigen, hieß es gestern in der 'Prawda‘. Das Treffen sei dringlich, so Gorbatschow, da „wir mit den Reformen und der Entwicklung der Demokratie nicht vorankommen, wenn in der Gesellschaft gleichzeitig das herrschende Recht gebrochen wird“. Ob der Präsident Litauens, Vytautas Landesbergis, teilnehmen wird, ist noch nicht bekannt. Es hieß aber, er werde vielleicht noch diese Woche nach Moskau fahren.
