Neue Moral nach der Rabta-Affäre?

Bayer AG unterstützt die Weigerung ihrer US-Tochter Mobay, für C-Waffen-Produktion zu liefern  ■  Von Andreas Zumach

Washington/Genf (taz) - Der Chemiekonzern Bayer AG steht voll hinter der Weigerung seiner hundertprozentigen US -Tochterfirma „Mobay Corporation“, für die Produktion von Chemiewaffen benötigtes Thionylchlorid an das Pentagon zu verkaufen. Ein Bayer-Sprecher erklärte gestern gegenüber der taz, die Entscheidung des Pittsburger Unternehmens sei zwar „eigenständig von dessen Vorstand“, jedoch „in enger Anlehnung an die grundsätzliche Politik“ des Leverkusener Mutterhauses getroffen worden. Die Bayer AG hat allerdings von der Entscheidung ihrer Tochterfirma erst am Montag abend erfahren. Der Sprecher schloß nicht aus, daß es „jetzt große politische und juristische Probleme“ geben könnte.

Ein Sprecher des Verbandes der Chemischen Industrie in Frankfurt ergänzte, es sei Konsens unter den Mitgliedsunternehmen, daß unter bundesdeutsche Exportbeschränkungen oder -verbote fallende chemische Grundstoffe auch von Tochterfirmen im Ausland nur entsprechend dieser Bestimmungen vertrieben würden. Diese Zurückhaltung der bundesdeutschen Chemieindustrie ist nicht zuletzt auch eine Reaktion auf die massive Kritik Washingtons an der Beteiligung bundesdeutscher Unternehmen am Bau der C-Waffen-Anlage im libyschen Rabta.

Das für die Herstellung des tödlichen Nervengases Sarin benötigte Thionylchlorid wurde erst im Herbst letzten Jahres von der Bonner Koalition auf die Liste der Stoffe gesetzt, deren Export in alle Länder der Erde scharf kontrolliert werden sollen. Seit langem von der Bundesregierung angekündigt, aber noch immer in den Ausschüssen des Bundestages beraten wird ein Gesetz, das jegliche Beteiligung bundesdeutscher Staatsbürger an der C-Waffen -Produktion auch im Ausland unter Strafe stellt. Ein solches Gesetz könnte für den Fall der Firma Mobay relevant werden, die zwar von einem US-Bürger geführt wird, aber auch Bundesdeutsche beschäftigt. Fortsetzung auf Seite 2

Interview auf Seite 2

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Neben Mobay verweigert auch der einzige andere Thionylchlorid-Hersteller in den USA, die Occidental Petroleum Corporation, eine Lieferung an das Pentagon. Die Bush-Administration erwägt jetzt, beide Firmen zwecks Gewährleistung der „nationalen Sicherheit“ und unter Berufung auf das RüstungSgüterproduktionsgesetz von 1950 zum Verkauf zu zwingen. Mobay-Aufsichtsratsvorsitzender Nick Crater (siehe Interview) signalisierte, sich dem juristischen Druck zu beugen.

Die noch aus den 50er Jahren stammenden Thionylchlorid -Vorräte des Pentagon sind aufgebraucht. Bis zum Juni dieses Jahres benötigt die US-Army 150.000 Pfund des Stoffes zur Abfüllung in neue 155-Millimeter-Artilleriegranaten.

Eine andere Option ist nach Auskunft eines Pentagonsprechers die „Beschaffung im Ausland“. Erst im Herbst letzten Jahres hatte Washington die Lieferung von Thionylchlorid von Indien in den Iran blockiert und den Vorgang zum Anlaß genommen, von anderen Staaten erneut strikte Nonproliferationsmaßnahmen zu fordern. „Von uns kriegen sie das Thionylchlorid bestimmt

nicht“, meinte ein hoher Bonner Regierungsbeamter gegenüber der taz. In der BRD stellt lediglich die Bayer AG den Stoff her. Darüber hinaus wird der chemische Grundstoff nach Schätzungen Genfer C-Waffenexperten nur in fünf bis sechs Ländern produziert, darunter in Indien.