Mit de Maiziere in die Misere

Betr.: taz vom 27. 3. / Leserbrief von M. Schn., Bad Gottleuba

Werte(r) M. Schn.! Ihren Brief las ich in der taz vom 27. 3. 90, auf meinem - zum Glück - recht langem Anfahrtsweg zur Arbeit (denn wann sollte ich sonst lesen?). Liebe Sachsen, Ihr besucht so oft unsere „privilegierte Hauptstadt“. Jetzt könnt Ihr auch nach Westberlin fahren (ich habe um die Jahreswende selbst dort welche gesehen. Es stimmt schon, man erkennt uns Ossis irgendwie). Tut mir, uns, der DDR und allen friedliebenden Menschen den Gefallen und schaut Euch zum Beispiel Kreuzberg an! Möchtet Ihr dort wohnen?! Da könnt Ihr auch gleich zu Hause bleiben - und habt vor allem nicht die vor nazistischer Vergangenheit warnenden Graffitis an den Wänden!!! Guckt Euch die Leute auf der Straße an, vor allem die Jugend! Betrachtet Euch - nein, nicht die Auslagen im Beate-Uhse-Laden - Plakate an den Kinos, die Gesichter der auf den Plakaten werbenden Menschen, die Heldengesichter auch auf den jetzt an unseren Zeitungsständen zu habenden Comics ... (So ein Gesicht seh ich auch oft, wenn ich in den Spiegel schau, deshalb guck ich auch nicht so oft hin). So sollen wir, unsere Kinder, das ganze Volk werden: hart, kernig, rücksichtslos! Wollen wir das? Wollen Sie das? Wollen Sie, daß beispielsweise Ihr Sohn, durch Üben mit einer Spielzeugpistole trainiert, Ihnen eine leicht käuflich zu erwerbende echte „Browning“ oder wie die Dinger alle heißen mögen, auf die Brust setzt, nur weil Sie vielleicht nicht bereit sind, auf Ihr sauer verdientes Geld zu verzichten und sein Taschengeld zu erhöhen? Sie wissen doch, in der „freien Welt“ ist für Geld alles zu haben. Alles, auch die Armut, unter Umständen auch kein Dach über dem Kopf, noch nicht mal eines, durch das es tropft ... Nachtrag: Ich bin kein Mitglied irgendeiner Partei - doch kenne ich eine, die den Behinderten für die Durchsetzung ihrer Rechte in der Volkskammer und auch jetzt bei den Kommunalwahlen Mandate zur Verfügung gestellt hat und stellen wird. Denken Sie nach, lesen Sie nach, wägen Sie ab, welche wird es wohl sein ...? Im aufrichtigen Wunsch und Hoffen auf unser aller Bestes. PS. Auch aus gegebenem Anlaß (Luther-Filme im DFF) fällt mir noch ein - was hat den päpstlichen Kardinälen anno Fünfzehnhundert schon am besten gefallen: saftige thüringische Erde, reiche Erzgruben ... Brandenburg, Mecklenburg hat ja nur Sand ... Wo hat sich Kohl engagiert ...? Leute, denkt nach!!!

Ingeborg Müller, Berlin

Betr.: Wahlen

Da sind wir nun also am 18. 3. vom

Regen in die (de) Misere (Maiziere) gekommen. Das Geld insbesondere die D-Mark, regiert eben doch die Welt. Welche Gewißheit haben wir also? Eigentlich ist am 18. 3. 1990 nicht die DDR zu Grabe getragen worden, sondern die dritte Revolution in Deutschland. Das „Volk“ hatte die Wahl zwischen einer Weiterführung dieser Revolution und dem teilweise verständlichen Wunsch nach einem vorgeblich besseren, neuen Leben, das die alten reaktionären Kräfte versprachen. Da auch die westdeutsche Regierung an einem Begräbnis dieser „Revolution“ interessiert war, mußte man damit rechnen, daß durch geeignete Mittel die hiesige alte Blockpartei bis zur Unkenntlichkeit eingenebelt wurde. So ist es nicht verwunderlich, daß sich schon heute verschiedene Leute wundern, daß Herr Kohl nicht Ministerpräsident der DDR wird und wer da wohl die Leute eigentlich sind, die da plötzlich erklären, sie wären die Wahlsieger und bilden jetzt die neue Regierung. Die hat doch keiner gewählt, hört man hier und da schon. Naja, nun gibt es kein Zurück. Aber so langsam habe ich die Gewißheit, daß es bis zum Ende der DDR noch ein paar Jahre dauern wird, vielleicht sogar bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Was kann es denn Besseres geben als diesen Staat mit seinen Gummigesetzen und Gerichten. Dazu kaputte Gewerkschaften ohne Streikkasse. Geradezu ideal für jeden Kapitalisten oder?

Also, der 18. 3. 1990 ist nicht der letzte Tag in der Geschichte der DDR, es ist die Grablegung der dritten deutschen Revolution dank der vereinigten Anstrengungen der Blockparteien hinter bundesdeutschem Nebel. Etwas Hoffnung vielleicht, denn 28 Prozent der Stimmen entfielen auf die Parteien und Organisationen, die Träger der Revolution waren (wie Bündnis 90, SPD, Grüne). Die DSU, die zwar auch ins Spektrum getreten ist, kann man ja wohl nicht mitzählen. Also Hoffnung, daß man doch noch nicht vergessen hat.

PS. Wann wird mit der neuen Stasi-Nachfolgetruppe zu rechnen sein. Wie wird sie wohl heißen?

Reinhardt Radtke, Wittenberg