„Das drückt auf die Seele“

■ Arm, obdachlos und dann auch noch Tiergartener BürgerIn: Pfarrer, Mieterberater und AL schlagen Alarm / Leerstand: Harsche Kritik am Bezirksamt

Vorwürfe gegen das Sozialamt Tiergarten wurden auf einer Veranstaltung in der dortigen St.-Johannis-Gemeinde am Mittwoch abend laut. „Beim Sozialamt werden Leute weggeschickt, obwohl sie Anspruch auf Sozialhilfe haben“, berichtete Hermann Pfahler vom Diakonischen Werk. So habe er einen kranken Mann betreut, der ein offenes Bein hatte. Das Sozialamt verweigerte die Übenahme der Behandlungskosten und schickte den Mann erst mal zur AOK. Die AOK hingegen konnte mit dem Kranken ohne Übernahmebescheinigung des Sozialamtes nichts anfangen und schickte ihn wieder zum Amt. Über diesem Hin und Her war es Samstag mittag geworden. Der dazu noch obdachlose Mann mußte mit seinem offenen Bein das Wochenende im Freien verbringen. So etwas sei typisch für das Sozialamt dort, meinte Pfahler. In Tiergarten würden jedem Sozialhilfeempfänger im Schnitt nur knapp 400 Mark im Monat ausgezahlt, in Kreuzberg seien es etwa 750 Mark pro berechtigter Person, berichtete der AL-Bezirksverordnete Lassen. Das Tiergartener Sozialamt sei sogar noch stolz drauf, wenn es Geld spare. Der zur Veranstaltung geladene Sozialstadtrat Ernst (CDU) war nicht erschienen.

Aber auch das restliche Bezirksamt bekam sein Fett weg. In Tiergarten gibt es rund 1.500 Obdachlose, davon ist nur ein gutes Drittel etwa in Pensionen untergebracht. Trotzdem stehen in Häusern, die dem Bezirksamt gehören, Hunderte von Wohnungen leer. Dazu gehört beispielsweise die bezirkseigene Quitzowstraße 138. Dort hat das Grundstücksamt die Wohnungen versiegelt, obwohl es einen Beschluß der Tiergartener BVV gibt, das Haus Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. „Die Wohnungen im Vorderhaus sind in Ordnung, da bräuchte man nur ein bißchen Farbe und Tapeten, dann könnten dort relativ bald Leute einziehen“, meint Ulli Lautenschläger von der Tiergartener Stadterneuerungsgesellschaft STERN. Auch in der Lehrter Straße stehen Wohnungen des Grundstücksamtes leer. „Das drückt einem auf der Seele, wenn man Obdachlose wegschicken muß und weiß, das Bezirksamt hat Wohnungen“, meinte Pfahler. Es sei ein Unding, daß das Tiergartener Sozialamt überhaupt Leute obdachlos werden lasse, sagte ein Mann. „In Kreuzberg schreibt das Sozialamt die Betroffenen an, übernimmt die Miete und beschlagnahmt notfalls die Wohnungen“, meinte er. „In Kreuzberg schreien die Leute eben lauter“, hieß es.

Esch