Überraschendes und mildes Ende

■ Im Koblenzer „§218-Prozeß“ erhielten Angeklagte wegen Kassenbetrugs Geldstrafe und Verwarnung. Ärztepaar ersparte Patientinnen die Aussage. Gibt es ein zweites Verfahren wegen „versuchter“ Abtreibung?

Einen überraschenden Ausgang fand letzte Woche der Koblenzer „§218-Prozeß“. Das Arzt-Ehepaar Atif und Marie-Luise Ergüven aus Neuwied nahm die Schuld auf sich und bat das Oberlandesgericht um ein vorzeitiges Ende der Beweisaufnahme. Die beiden Gynäkologen waren in Rheinland -Pfalz vor zwei Jahren Objekt umfassendster staatsanwaltlicher Ermittlungen nach dem Muster des Verfahrens gegen den Frauenarzt Theissen im bayerischen Memmingen geworden.

Die Ermittlungen in Neuwied begannen, nachdem eine Sprechstundenhilfe die beiden Ärzte denunziert hatte. Beamte stürmten mehrmals die Praxis, beschlagnahmten die Patientinnen-Kartei mit über 10.000 Karteikarten und sortierten säuberlich rund 1.500 Abtreibungsfälle aus den Jahren 1982 bis 1986 aus. Eine „Sonderkommission Ergüven“ scheute weder Mühe noch Kosten, die betroffenen Frauen aufzutreiben und ihnen Fragebogen zuzustellen, in denen intimste persönliche und finanzielle Verhältnisse abgefragt wurden. Keine der Frauen wurde dabei über ihre Rechte informiert. Die teils rüden Ermittlungen veranlaßten den rheinland-pfälzischen Justizminister Caeser - aufgeschreckt durch den Medienwirbel um das Memminger Verfahren -, den zuständigen Staatsanwalt Lessing zu rügen und sich fürderhin mehr „Fingerspitzengefühl“ auszubitten.

Dennoch begann am 1. März dieses Jahres das Verfahren gegen die Ergüvens - allerdings nicht wegen des Verstoßes gegen den Paragraphen 218, sondern wegen Abrechnungsbetrugs. Die Fahnder hatten akribisch die Krankenkassenabrechnungen etlicher Jahre durchforstet. Sie kamen dabei auf einen Fehlbetrag von knapp 20.000 Mark, die in der Praxis zu ungunsten der Kassen abgerechnet worden seien. In der Anklageschrift erhöhte sich dieser Betrag noch erheblich. Die Verteidigung rechnete dem Gericht vor, daß die kassenärztliche Vereinigung nicht geschädigt worden sei, denn auf der anderen Seite hätten die Ärzte immerhin eine weitaus höhere Summe zu ihrem eigenen Schaden überhaupt nicht abgerechnet.

Einen Tag, bevor die ersten Zeuginnen über ihre Behandlung bei den Gynäkologen vor Gericht hätten aussagen müssen, entschlossen sich die Angeklagten, ihren Patientinnen diese Tortur zu ersparen. Denn sie widerspreche ihrem ärztlichen und menschlichen Ethos. Sie baten statt dessen um ein vorzeitiges Ende des Prozesses. Schon vorher hatte der Vorsitzende Richter, Günter Bayer, angedeutet, das Gericht glaube den Angeklagten, daß sie keine Betrugsabsichten gehabt hätten.

Auch der Anklagevertreter, Staatsanwalt Lessing zeigte sich nicht abgeneigt, zu diesem Ende beizutragen. Er reduzierte die angebliche Betrugssumme von inzwischen über 300.000 Mark wieder auf genau 93.254 Mark und führte in seinem Plädoyer eigentlich mehr Ent- als Belastendes an. Das Gericht verurteilte Atif Ergüven zu einer Geldstrafe von 36.000 Mark und verwarnte Marie-Luise Ergüven.

Was aus einem zweiten Verfahren wird, in dem die Ärzte direkt des Verstoßes gegen den Paragraphen 218 beschuldigt werden, ist noch ungewiß. Es ist zur Zeit bei dieser Kammer nicht anhängig. Er wolle hier, sagte Richter Bayer, bestimmt „keine schlafenden Hunde wecken“. Falls die von der Koblenzer Staatsanwaltschaft erhobene §218-Anklage doch zugelassen werden sollte, wird sich die Beweisaufnahme für die Anklage schwierig gestalten. Akribisch und detailliert belegt die Verteidigung heute schon, daß bei den insgesamt 78 bisher aufgelisteten Schwangerschaftsabbrüchen bodenlos schlampig ermittelt wurde.

Dessen scheint sich auch die Staatsanwaltschaft durchaus bewußt gewesen zu sein. Sie konstruierte ein in der Rechtsgeschichte bisher einmaliges Delikt und klagte Atif Ergüven wegen des „Versuchs eines Schwangerschaftsabbruchs“ an, weil er in 55 Fällen die Indikation der Patientinnen nicht persönlich überprüft habe. Dazu war der Arzt, der seine Patientinnen nachweislich zusätzlich beriet, allerdings auch gar nicht verpflichtet.

Heide Platen