Gesucht: ein neues politisches Hinterland

■ Ist das einst feministische Projekt GAL-Frauenfraktion am strömungspolitischen Hickhack oder an mangelnder Unterstützung gescheitert? Vier GAL-Dissidentinnen und zwei Noch-GALierinnen gründeten neue unabhängige Fraktion. Unabhängiger DDR-Frauenverband ist Vorbild

Nun ist es also offiziell: Die Frauenfraktion der grün -alternativen Liste (GAL) in der Hamburger Bürgerschaft gibt es nicht mehr. Am Mittwoch morgen gaben die ehemaligen Mitglieder der Bürgerschaftspräsidentin ihre Auflösung kund. Gleichzeitig beantragten die vier GAL-Dissidentinnen und zwei Noch-GALierinnen die Anerkennung als unabhängige Frauenfraktion. Ein Antrag, der innerhalb der Bürgerschaft bisher allerdings rechtlich umstritten ist.

Hat sich die GAL-Frauenfraktion im strömungspolitischen Hickhack zerrieben? Oder ist hier ein feministisches Projekt an der fehlenden Unterstützung aus dem eigenen Umfeld gescheitert? Diese Frage ist sicher nicht eindeutig zu klären. Fest steht: Die Abstimmung mit den Füßen hat schon längst stattgefunden. An der Basis und in den Bezirken sind die Frauen der GAL in den letzten Jahren einfach davongelaufen. Und von den Nachrückerinnen, die sich 1986 für die GAL-Frauenliste aufstellen ließen, sind inzwischen etliche aus der Partei ausgetreten. Doch das hat bis zu jenem Tag, Anfang März, an dem vier der acht GAL -Bürgerschaftsabgeordneten ihre Partei mit einem Paukenschlag verließen, kaum jemanden interessiert. Das ausgerechnet diese Fraktion die Spaltung vollzogen hat, von der die Grün-Alternativen sonst immer nur reden, ist eine Kapriole der Geschichte. Denn sie war, nach der Rotation vor gut einem Jahr, weniger strömungspolitisch besetzt als jede andere GAL-Fraktion zuvor.

Margret Hauch (noch-GALierin) und Eva Hubert (ausgetreten) zum Beispiel sind Frauenlisten-Frauen der ersten Stunde. Sie gehörten zusammen mit Adrienne Göhler, die vor knapp sieben Jahren die Idee der Frauenliste „erfand“, zu den „Frechen Frauen“, die eher am Rande der GAL über neue Formen und Inhalte von Frauenpolitik nachdachten. „Die GAL ist langweilig! Unser äußerer parlamentarischer Erfolg steht in keinem Verhältnis zu unserer inneren Glanzlosigkeit und Überkommenheit“, stellte Adrienne Göhler schon 1985 fest. Für eine 50-Prozent-quotierte Bürgerschaftsfraktion hätte die GAL kaum genügend Kandidatinnen zusammenbekommen, für den Partei-Landesvorstand wurden geradezu händeringend nach Frauen gesucht. In dieser Situation gewann die Idee, der GAL mit einer Frauenliste ein neues Glanzlicht aufzusetzen und damit einmal mehr die Medienaufmerksamkeit zu gewinnen, offenbar auch für diejenigen an Attraktivität, die sie eigentlich für ein Produkt des „neuen Biologismus“ hielten. Das Projekt Frauenliste und die Möglichkeit, in der Rathauspolitik mitzumischen, ohne sich vorher in einer Parteikarriere hochdienen zu müssen, faszinierte wiederum manche Frauen, die die GAL sonst wohl allenfalls gewählt hätten.

Die ursprüngliche Vorstellung von einem Kollektiv, das die Frauenfraktion als gemeinsames Projekt begriff, ließ sich in der GAL allerdings nicht durchsetzen. In die erste Fraktion wurden sogar zur Hälfte Frauen gewählt, die der Idee einer Frauenliste skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, aber über ihre bisherigen Parteiaktivitäten das Vertrauen der Fundis gewonnen hatten. Diese erste Fraktion hatte denn auch kaum eine Grundlage, ein gemeinsames Konzept von Frauenpolitik zu entwickeln: Nicht nur die Konflikte zwischen den acht Frauen, auch die Tatsache, daß die GAL -Fraktionsmitarbeiterinnen selbst im Strömungsstreit mitmischten und teilweise der Frauenfraktion recht mißtrauisch gegenüberstanden, verhinderte eine offene Auseinandersetzung und konstruktive Zusammenarbeit. So rieben sich die Abgeordneten als Einzelkämpferinnen im Parlamentsalltag auf. Doch ihre konkrete, sachbezogene Politik war kaum je Anlaß parteiinterner Diskussionen oder Kritik. Adrienne Göhler, inzwischen wegrotierte Abgeordnete der ersten Frauenfraktion zieht trotz allem eine positive Bilanz: „Schon allein die Tatsache, daß wir als Frauenfraktion da waren, war eine Provokation.“

Anfang letzten Jahres zog dann die zweite Frauenfraktion in die Bürgerschaft ein - eine Fraktion, die viel weniger als die erste von GAL-Traditionen geprägt war als viel mehr von Frauen, die bisher ihren Lebensmittelpunkt nicht in der Parteipolitik gesehen hatten, sondern zum Beispiel in ihrem beruflichen Engagement. Auch ein Novum: Vier der acht Abgeordneten haben zusammen acht Kinder im Vorschul- und Schulalter.

Was in diesem Jahr in der Frauenfraktion gewachsen ist, bezeichnet Eva Hubert als „eher zartes Pflänzchen dessen, was die Idee der Frauenliste eigentlich mal ausgemacht hatte“. Die Frauen leisteten sich eine Supervision, um den unterschiedlichen Motivationsebenen ihres politischen Handelns auf die Spur und dem Ziel näher zu kommen, eine „Politik der Subjekte“ zu machen.

Sie luden in unregelmäßigen Abständen zu offenen Frauen -Diskussionsveranstaltungen über ihre aktuellen politischen Themen - die allerdings schlecht besucht blieben. „Ein reger Kontakt zu Frauenprojekten“, so erinnert sich die ehemalige GAL-Frauenreferentin Katja Leyrer, „bestand eigentlich nur vor der Haushaltsdebatte, wenn alle Projekte Unterstützung für ihre Anträge auf Planstellen etc. brauchten.“ Auch der „Weiberbeirat“, bestehend aus einem guten Dutzend von Frauenlisten-Sympathisantinnen, blieb ein eher zartes Gewächs.

So waren es auch nicht frauenpolitische oder feministische Argumente, die die vier Dissidentinnen bei ihrem Austritt aus der GAL Anfang März vorbrachten; Auslöser war die von der GAL-Mitgliederversammlung Mitte Februar beschlossene deutschlandpolitische Erklärung und noch viel mehr die Debatte darüber, die die Frauen als „zynisch und menschenverachtend“ empfanden. Die Entscheidung, trotz Parteiaustritt ihr Mandat zu behalten, legitimierten sie mit ihrer Übereinstimmung mit der Bundespolitik und der Mehrheit der Grünen; Unterstützung kam prompt von den Realos in der GAL.

Heidi Burmeister, Frauenreferentin der GAL-Fraktion seit Mai 1989, ist, trotz 20 Jahren Erfahrung in der Frauenbewegung, „heute enttäuschter, als ich es mir noch vor einem Jahr hätte vorstellen können“. Sie hat weniger am Parteiaustritt der vier Abgeordneten auszusetzen, als an der Tatsache, „daß eine explizite Kritik an der Art und Weise, wie in der GAL und durch die GAL Frauenpolitik verhindert wird, überhaupt nicht geäußert wurde“. Der deutschlandpolitische Beschluß der GAL zeichne sich dadurch aus, daß er völlig geschlechtsneutral gehalten sei. Die Erklärung etwa des Unabhängigen Frauenverbandes in der DDR, daß die Demokratisierung zur Farce verkomme, wenn sie wieder nur von Männern betrieben würde, sei in der deutschlandpolitischen Debatte völlig ignoriert worden. Dies alles aber hätten die Aussteigerinnen mit keinem Wort zur Sprache gebracht. Und das neu gegründete „Grüne Forum“ in Hamburg, an dem die Ex -GALierinnen sich jetzt orientieren, sei auf dem Wege dazu, eine „Ein-Punkt-Partei“ mit dem einzigen Schwerpunkt Ökologie zu werden, befürchtet Heidi Burmeister. Nach klaren frauenpolitischen Aussagen suche frau vergeblich.

Auch der GAL-Dissidentin Eva Hubert ist bei der schnellen Zuordnung zu den „wahren Grünen“ nicht recht wohl gewesen: „Aber wenn du nach so einer Spaltung plötzlich völlig allein dastehst, dann bist du natürlich schnell bereit, dich erst mal an die zu halten, die dir Unterstützung anbieten.“ Die Entscheidung, ihr Mandat nicht still und bescheiden zurückzugeben, steht für Eva Hubert aber viel eher im Zusammenhang mit der Idee der Frauenliste: Erst einmal sei es ihr darum gegangen, Kampfgeist und ihre Zugehörigkeit zur Frauenfraktion zu demonstrieren. Ob sie ihr Mandat aber tatsächlich behält, will sie unter anderem vom Verlauf des Hagener Bundesparteitages der Grünen abhängig machen: „Wenn wir dort keine massive Unterstützung in unserer Kritik an der GAL bekommen, sehe ich für mich eigentlich auch keine Legitimation mehr, daran festzuhalten.“

Die vier Dissidentinnen haben bislang aber ihre Entscheidung in der „Frauenöffentlichkeit“ kaum zur Debatte gestellt; sie bewegten sich statt dessen vor allem in der Medienlandschaft. Die Diskussion mit der Frauenbewegung anzuzetteln, darum haben sich zunächst einmal zwei andere Abgeordnete bemüht: Margret Hauch und Helga Wullweber. Beide sind in der GAL geblieben, obwohl sie die Kritik der Ausgetretenen in vollem Umfang teilen. Helga Wullweber sieht aber nach wie vor die Notwendigkeit einer politischen Organisation links von der SPD: „Ohne systemoppositionelle Politik werden wir die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht durchsetzen können.“ Margret Hauch möchte, noch als GAL-Mitglied, dazu beitragen, „die GAL in ihre Bestandteile aufzulösen“, das heißt in die Strömungen, aus denen sie sich zusammengefunden hat.“

In einer Diskussionsveranstaltung auf der Hamburger Frauenwoche Anfang März kam denn auch zum ersten Mal eine neue Perspektive ins Spiel: Einhellig hatten Katja Leyrer, Heidi Burmeister und Adrienne Göhler festgestellt, die Frauenliste als Projekt einer gemischten, das heißt männerdominierten Partei sei gescheitert. Adrienne Göhler bekannte sich als erste dazu, daß sie „einen Mandatsklau mit einer feministischen Begründung ohne weiteres hätte unterstützen können“. Sollten sich die Mandatsträgerinnen statt der GAL-Basis („Man kann Basisdemokratie auch unterlaufen, indem sich die Funktionäre zur Basis erklären“

-A. Göhler) ein neues politisches Hinterland, etwa in Form eines Unabhängigen Frauenverbandes nach DDR-Vorbild, organisieren und die Legislaturperiode als Unabhängige Frauenfraktion beenden?

Der Vorschlag hatte etwas Bestechendes, realisierbar aber war er in der kurzen Zeit kaum; außerdem hatten sich die vier Dissidentinnen mit ihrer Orientierung am Grünen Forum inzwischen festgelegt. Immerhin: Knapp zwei Wochen nach der Diskussion auf der Hamburger Frauenwoche traf sich eine kleinere Runde, die an der Idee einer eigenen politischen Frauenorganisation weiterarbeiten will.

Inzwischen nahm der Vorschlag von Margret Hauch und Helga Wullweber Gestalt an, gemeinsam mit den vier Dissidentinnen eine unabhängige Frauenfraktion zu bilden: Ihre Perspektive wäre die Auflösung der GAL in drei Verbände ökosozialistische Fundis, Grünes Forum und ein neuer Frauenverband - mit der Option eines Wahlbündnisses zur Bürgerschaftswahl 1991. Die GAL-Mitgliederversammlung lehnte den Vorschlag ab und forderte die Dissidentinnen auf, ihr Mandat zurückzugeben. Die aber haben sich mittlerweile auf eine gemeinsame Grundlage der Fraktionsarbeit mit Margret Hauch und Helga Wullweber geeinigt. Steht also nur noch die Entscheidung der Bürgerschaftspräsidentin aus.

Was in dem Strudel der Ereignisse unterzugehen droht, ist eine tatsächliche Bilanz der Politik und Erfahrungen, die die Frauen in drei Jahren gemacht haben. Schließlich haben sich die Frauen nicht nur um GAL-Querelen gekümmert, sondern (allein im letzten Jahr) ein Quotierungsgesetz vorgelegt und in die Haushaltsberatungen die Debatte um den „Frauenstandort Hamburg“ eingeführt; sie haben eine öffentliche Anhörung über „Kinderkriegen in Hamburg“ inszeniert. Politische Schwerpunkte, die in der Öffentlichkeit auch deshalb kaum gewürdigt wurden, weil die neuen Politikerinnen sich im Medien-Blitzlichtgewitter nicht gerade vordrängelten. Und weil mann nun mal viel lieber über Frauen schreibt, die sich zanken, als über Frauen, die gemeinsam Politik machen.

Daß all diese Erfahrungen nicht einfach verloren gehen, das ist eine Hauptforderung der GAL-Frauenreferentin Heidi Burmeister in der gegenwärtigen Situation. Dieser gemeinsamen Auswertung, meint sie, seien alle Frauen, die an der Geschichte der Frauenliste beteiligt waren, jetzt „schlicht und einfach verpflichtet. Und vielleicht läßt sich auf dieser Grundlage ja später mal ein neues, besser fundiertes Projekt Frauenliste starten.“

Irene Stratenwerth