Neudeutschstunde in Hessen

Provinzgerangel um eine Städtepartnerschaft mit Polen reichte bis ins Außenministerium / Namensstreit entzweit Parlamentarier  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Orte mit Namen Bischofsheim gibt es gleich viermal in der Bundesrepublik. Mindestens einer dürfte nun zu bescheidenem Ruhm gelangen: Das 12.000-Einwohner-Städtchen Bischofsheim mit der Postleitzahl 6094 südlich von Frankfurt am Main. Es ist nämlich zutiefst verstrickt in eine Affäre, die mittlerweile das zuständige Regierungspräsidium in Darmstadt, den hessischen Landtag und das Bonner Außenministerium beschäftigte. Für Turbulenzen verantwortlich ist der Name Reichenbach, der als Ortsbezeichnung hierzulande allein vierundzwanzigmal und in der DDR elfmal bekannt ist. Man sollte meinen, damit sei es mehr als genug der Reichenbachs auf der Welt.

Doch weit gefehlt. Als das Bischofsheimer Stadtparlament Mitte 1989 gebannt auf die Entwicklung in Osteuropa blickte und dort eine Partnerstadt suchte, waren sich noch alle Parteien einig: Die Stadt Dzierzoniow in Polen sollte es sein - rund 20.000 EinwohnerInnen, am Rande des Riesengebirges gelegen. Im Oktober 1989 besuchte eine polnische Delegation die neue westliche Partnerstadt, der Vertrag wurde ausgehandelt, Hände geschüttelt. Wirtschaftliche Unterstützung, Kulturaustausch und sportlicher Wettkampf wurden vereinbart. Erst Gastgeschenke...

Die neuen Partner beschlossen, daß der Bürgermeister aus Dzierzoniow, Lucian Wengjl, und der hessische Bürgermeister, Berthold Döß (SPD), das Papier März in Polen unterzeichnen würden. Bischofsheim erstand als Gastgeschenk einen VW-Bus, beladen mit 1.000 Paar Kinderschuhen in allen Größen. Eitel Sonnenschein also - bis die Fraktionen der CDU und der FDP in der mit absoluter SPD-Mehrheit regierten Stadt sich der Historie zuwandten. Ihnen fiel auf, daß Dzierzoniow ja eigentlich Reichenbach heiße, jedenfalls bis 1945 so geheißen habe. Und so solle die Stadt auch in dem Vertragswerk genannt werden. ...dann Zoff

In der Lokalpresse brach eine Schlammschlacht aus. Die 20 SPD- und fünf Grünen-Angeordneten stritten in der Stadtverordnetenversammlung stundenlang und wacker gegen die zehn CDUler und zwei FDPler. Doch eine solche Mehrheit nützte ihnen gar nichts. Inzwischen war nämlich, aufgeschreckt durch das öffentliche Getöse, der Landrat des Kreies Groß-Gerau „von Amts wegen“ tätig geworden. Er wandte sich ratsuchend an das Regierungspräsidium in Darmstadt. Dort wuchs der Konflikt sich aus, erhielt eine „grundsätzliche Bedeutung“ und wanderte ins hessische Innenministerium. Und das holte sich Rückendeckung in Bonn und formulierte am 2. Februar einen Erlaß: „An der bisherigen Rechtsauffassung hinsichtlich der Schreibweise von Ortsnamen in den Oder-Neiße-Gebieten wird festgehalten.“ Und die schreibt deutsch. ...zuletzt ein Erlaß

Am 22. März, eine Woche vor der geplanten Polenreise von 52 Honoratioren, hatte der Amtsschimmel, der im November 1989 losgeritten worden war, seinen Weg in den heimischen Stall zurückgefunden. Der Landrat informierte den Bischofsheimer Bürgermeister Döß, daß sich der hessische Innenminister auf den bundesdeutschen Außenminister Genscher beziehe, seinen Blick fest auf Bischofsheim richte und daß deshalb „im Einklang mit der von der Bundesregierung weltweit geübten Praxis - in der deutschen Sprachverfassung auch für Orte in der (Volks)-Republik Polen die im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch üblichen Ortsnamen“ zu verwenden seien.

Seit gestern zerbricht sich der nun auch der hessische Landtag den Kopf über das Problem Dzierzoniow. Die Grünen formulierten einen dringlichen Antrag zur sofortigen Aufhebung des innenministeriellen Namenserlasses. Bürgermeister Döß ließ inzwischen wissen, er sei nicht bereit, die BürgerInnen von Dzierzoniow durch Vertragsänderung zu ReichenbacherInnen zu machen und nehme dafür eventuell auch eine Disziplinarstrafe in Kauf. Die Polen haben von all dem keine Ahnung. Sie erwarten am Wochenende ihre Gäste aus Bischofsheim.