Verwahranstalt oder Resozialisierung

■ Perspektiven für den DDR-Strafvollzug / Besuch in der Haftanstalt Rackwitz / Bedingungen am Arbeitsplatz und in der Unterkunft sind erschreckend / Arbeitsgruppe Strafvollzug/Resozialisierung aus Leipzig will „Soziales Haus“ für Entlassene gründen

Hüben wie drüben gehören Inhaftierte zu den Menschen für die sich kaum jemand stark macht. Die DDR nimmt mit ihrem Anteil der Strafgefangenen an der Bevölkerung einen führenden Platz ein. Die Strafpraxis wurde in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren verschärft, die Gefängnisse immer voller und die Bedingungen im Knast immer resozialisierungsfeindlicher.

In verschiedenen Orten haben sich Arbeitsgruppen des „Neuen Forums“ gebildet, so in Rostock, Erfurt und Leipzig.

Durch die Streiks in den Gefängnissen hat die Arbeitsgruppe Strafvollzug/Resozialisierung Leipzig wieder Auftrieb bekommen. Vom Zeitpunkt der Amnestie Ende 1987 an, boten einige kirchlich Engagierte in der Michaeliskirche Leipzig unter der Anregung von dem dortigen Diakon Martin Hinze einen Treff für Haftentlassene an. In der „Quelle“ in der Michaeliskirche treffen sich seitdem Dienstags Ehrenamtliche und ehemalige Inhaftierte. An Besuche im Knast war anfangs gar nicht zu denken. Auch gab es wenig Hoffnung auf Änderungen in den Haftanstalten. Seit der „Wende“ sieht das nun anders aus. Schon im November legte die Arbeitsgruppe als Forderungskatalog und Diskussionsvorschlag einen Entwurf vor, in dem es ihr um zwei Ziele geht. Zum einen streben sie eine gesellschaftliche Kontrolle des Vollzuges an. Eine Kontrollinstanz muß unabhängig vom Vollzug, beispielsweise in Form eines oder einer „Beauftragten für Strafvollzug“ eingesetzt werden. Diese Person muß alle Einrichtungen regelmäßig besuchen, für Gefangene eine Anlaufadresse darstellen und dem Parlament Jahresberichte vorlegen.

Zum anderen versucht die Gruppe ein Konzept zu entwickeln, das den Resozialisierungsgedanken verwirklicht, der zwar im Strafvollzugsgesetz auf dem Papier festgeschrieben ist, aber in der Praxis ganz anders aussieht.

Die Arbeitsgruppe besuchte den Vollzug in Rackwitz. Wegen des Streiks dort wurde die Kirche um Hilfe gebeten. 300 Männer sitzen dort in dem sogenannten gelockerten Vollzug bis zu zwei Jahren. „In Baracken sind die Gefangenen gleich neben einem Leichtmetallwerk untergebracht. Wenn der Wind ungünstig steht, wird der Rauch aus den Schornsteinen direkt über die Unterkünfte gedrückt. Wir haben selber erlebt, daß die Luft total schwarz ist, die die Inhaftierten täglich einatmen“, sagt Andreas Albrecht aus der Arbeitsgruppe.

Überwiegend sind die Anstalten in der Nähe volkswirtschaftlicher Knotenpunkte angesiedelt, die Inhaftierten arbeiten unter überhöhten Produktionsnormen, gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen und oft an völlig überalterten Maschinen, weshalb es immer wieder Arbeitsunfälle gegeben hat. „Was da an Arbeitsbedingungen herrscht“, so Ulf Liedke, „spottet jeder Beschreibung“.

Die Inhaftierten verdienen dabei kaum etwas, wie Andreas Albrecht erzählt. „Wegen der Rücklagen und Schulden bleiben dem Gefangenen vielleicht noch 50 Mark zum Einkaufen“.

Neben der Arbeit bleibt nicht viel. Die Zellen sind meist überfüllt: „In Rackwitz, wo die Gefangenen in Baracken untergebracht sind, liegen 8 bis 10 Personen auf einer Zelle, da bleiben für jeden 2 Meter Platz. Möglichkeiten, sich alleine zurückzuziehen, gibt es bei dieser Unterbringung nicht“, berichtet Andreas Albrecht von dem Besuch. Neuerdings wurde im Gemeinschaftsraum ein Fernseher und ein Radio aufgestellt. Außer Kinovorstellungen in größeren Abständen gibt es keine weiteren Freizeitangebote. Den Sportplatz nutzte wegen der Luftverschmutzung freiwillig niemand.

Auf Lockerungen wie Urlaub und Ausgang angesprochen, schüttelt Andreas den Kopf. „Daß es das gegeben hätte, ist mir nicht bekannt. Von den Leuten, die ich betreut habe, hatte keiner solche Vergüngstigungen. Die kamen irgendwann unvorbereitet frei.“ Gesetzlich gab es Regelungen, praktisch jedoch hingen Paketerlaubnis und anderes vom Wohlverhalten ab. Briefe wurden beschränkt und zensiert. In Rackwitz durften pro Monat nur vier Briefe an maximal zwei Adressen geschrieben werden.

Da Änderungen des Strafvollzugsgesetzes, vor allem wirkliche Änderungen im Vollzug eine Weile dauern dürften, verlangt die Arbeitsgruppe Sofortmaßnahmen. Lockerungen wie Urlaub, Einsatz von Außensprechern, Familienkontakte und unbeschränkte Briefkontakte gehören zu dem Forderungskatalog.

Bislang unterlagen Entlassene repressiven Auflagen, die den Kontakt mit Personen, den Aufenthalt an bestimmten Orten oder die wöchentliche oder monatliche Meldung bei der Polizei betreffen. „Die Paragraphen zur Wiedereingliederung im Strafvollzugsgesetz waren in der Vergangenheit eher hinderlich und wurden als Zwangsmaßnahme empfunden“, erklärt Andreas Albrecht. Spätenstens im Knast wurde verlernt, eigenständig zu sein und die simpelsten Dinge für den Alltag zu meistern, wie Miete und Strom zu bezahlen, Handwerker zu organisieren.

Deshalb will die Arbeitsgruppe des Neuen Forums ein „Soziales Haus“ gründen, in dem Entlassene aufgenommen werden können und über konkrete Aufgabenverteilung, gemeinsame Freizeitgestaltung, Hausversammlungen, Arbeitsaufnahme usw. mit Hilfe von Fachleuten wieder den Alltag zu bewältigen lernen.

Ob ein Haus realisierbar ist, bleibt fraglich. Zu groß ist die Wohnungsnot in Leipzig. Für das ehemalige Stasigebäude ist der Antrag der Arbeitsgruppe einer von einhundertfünfzig.

Uta Klein

Kontakt über: Diakon Martin Hinze, Nordplatz 4, Leipzig, 7022.

Die taz ist dabei, zwischen eventuell schon entstandenen Gefangenenhilfsorganisationen oder Interessenten daran, Kontakte herzustellen. Wir planen auch die Einrichtung eines Spendenkontos für Knast-Abos. Fragen dazu an Jürgen Kuttner 20 04 589 oder Anja Baum 20 04 386.