Grüne paargereimt

Vierfüßig angepinkelt: Die Zettelwirtschaft als höchste Form der Basisdemokratie  ■  Anders sein und anders scheinen

Anders reden, anders meinen

Alles loben, alles tragen

Allen heucheln, stets behagen

Allem Winde Segel geben

Bös‘ und Guten dienstabr leben

Bloß auf eigenen Nutzen richten

Wer sich dessen will befleißen

Kann politisch heuer heißen

Die Abgeordneten der Bremer Grünen reden zwar zu anderen ziemlich viel, miteinander dafür umso weniger. Als fraktionsinternes Verständigungsmittel im Zeitalter der Telekommunikation ist bei den Grünen die Zettelwirtschaft zu neuen Ehren gekommen. Wer seinen 9 gewählten MitstreiterInnen im gemeinsamen Kampf gegen Umweltzerstörung und für mehr Mitmenschlichkeit noch irgendetwas zu sagen hat, schreibt es auf und praktiziert den Zettel möglichst unaufällig ins Fach des Adressaten. Das aber mit Niveau. Poetisch und lyrisch. In die Verse des barocken Dichters Friedrich von Logau goß Fraktionssprecher Hans-Joachim Sygusch jetzt, was er seinem Kollegen Martin Thomas schon lange hatte sagen wollen: Nämlich die Meinung. Und zwar eine wenig schmeichelhafte für Thomas. Bargen die gefällig vierfüßigen paargereimten Zeilen doch ziemlich unverblümt eine Philippika gegen Opportunismus, Karrierismus und Heuchelei.

Bei seiner Rückkehr von einer geistigen Entschlackungskur von den alltäglichen grünen Kleinkariertheiten in einem Benediktinerkloster fand Thomas kürzlich erstens den lyrischen Anpinkelerguß im Fach, zweitens die Angelegenheit „völlig unter Niveau“ und drittens eine Empfängergenossin. Mit reimgleichen Mahnungen vor den Versuchungen eines gunstschleichlerischen Lebens hatte Sygusch klammheimlich auch Fraktionskollegin Helga Trüpel beglückt. Beide sitzen zwar zumindest in der Bürgerschaft Abgeordnetenbank an Abgeordnetenbank, gehören dort aber zu den diszpliniertesten Volksvertretern: Und wenn das ganze Parlament sich in allgemeines Nachbarschafts-Getuschel aufzulösen droht Trüpel-Sygisch bilden die letzte Bastion eiserner Debatten -Aufmerksamkeit. Das ist so, seit Trüpel es vor einem halben Jahr ablehnte, sich mit Sygusch in die FraktionssprecherInnen-Arbeit zu teilen. Seither zeichnet ihre persönliche Beziehung ungefähr die Herzlichkeit aus, die ein verschmähter Galan für die als seiner unwürdig Erwiesene aufbringt.

Immerhin festigte der Einbruch des Zettels in die Eisigkeit grüninternen Schweigens jetzt einen Kommunikationsweg. Trüpel und Thomas verständigten sich darauf, daß der Zettel auf jeden Fall mehr über seinen Absender als über seine Adressaten aussage. Mündlich.

Rosi Roland