Durchstarten und Tee trinken

■ Der Beutel ist out, es lebe der Tee: Auf der Suche nach europäischer Teekultur

Keine Panik: Sie müssen nicht in einen Kimono stundenlang auf den Knien herumrutschen, bevor Sie Tee wirklich genießen können. Und Sie dürfen ihren Gästen auch ohne buddhistische Mönchs-tonsur gegenübertreten, wenn sie ein Täßchen anbieten wollen: Die europäische Teekultur ist weniger streng als die fernöstliche. Seit einhundert Jahren trinkt Kontinentaleuropa Tee: Ursprünglich wollten die Kolonialherren in Södostasien Kaffee anbauen. Ungeziefer knabberte die Kaffeepläne zunichte, stattdessen wurde Tee

kultiviert. China, die indische Provinz Assam und Nordindien waren und sind besonders bevorzugte Teeanbaugebiete. Die Pflanzen werden mehrmals pro Jahr abgeerntet und durch Beschneidung auf einer Höhe von einem Meter gehalten. Die PflückerInnen greifen von oben in die Pflanze und ziehen die ersten fünf, sechs Blätter ab. Je höher die Blätter sitzen, desto edler wird der Tee. Die Teeblätter werden getrocknet und gerollt, bis die Zellkerne aufbrechen. Durch die Oxidation an der Luft werden chemische Prozesse eingeleitet, die dem Tee sein Aroma verleihen. Die zerbröselten Blätter werden bei 80 Grad nochmals getrocknet und dann durch verschiedene Siebe gerüttelt: Je gröber die Siebung einer Pflückung,, desto besser der Tee. Im unteren Sieb

sammelt sich der „Dust“, der in Beutel eingetütet wird. Teebeutel machen 70 Prozent des gesamten Teeumsatzes der Bundesrepublik aus, und der liegt bei etwa 250 Gramm pro Kopf.

Teetrinken ist gesund: Als Kariesprophylaxe, weil Tee Fluor enthält und als Anreger, ohne das der Kreislauf belastet wird. Wer Tee trinkt, dessen Kreislauf schwebt sanft in die Höhe und landet weich auf der Frequenz, auf der er gestartet ist.

Wolfgang Wilhelm, Teegroßhändler und -trinker aus Leidenschaft, will die BremerInnen das Teetrinken lehren. Da gilt es erst einmal große Bildungslöcher zu stopfen: Mit Faustregeln wie „drei Löffel pro Liter“ kommt man nie ins Nirwana der TeegenießerInnen. Die Dosierung über den Daumen verdirbt nämlich den

eigentümlichen Geschmack jeder einzelnen Teesorte, und so probierte Wilhelm eineinhalb Jahre lang jeden Tee durch, dosierte verschieden, wählte die beste Dröhnung pro Sorte und speicherte die Teedaten auf Diskette: Heute liefert er zu allen Teesorten die entsprechende Kochanweisung mit.

Ironie des Schicksals oder - weniger fein formuliert Beschiß am Kunden ist die Tatsache, daß der minderwertigste Tee im Beutel teurer ist als Qualitätstee. Für eine verbeutelte Ostfriesenmischung (60-70 Gramm) zahlt man durchschnittlich 4 Mark, während der lose Tee in 100 Gramm Packungen zwischen vier und sechs Mark kostet. ma

Probieren können Sie am kommenden Donnerstag zur Neueröffnung eines SinAss Teeladens in der Hillmanpassage.

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