Seit siebzig Jahren Schwein gehabt

■ Biofleischer Raab feiert Geburtstag / Ein Streifzug durch Metzgereigeschichte: Vom Schlachten und Verwursten

Als Gustav Raab 1939 in der väterlichen Schlachterei (gegründet 1920) seine Lehre begann, war noch alles anders. Da wurden montags die Schweine zum Schlachthof gebracht, am Dienstag wurde ausgewählt, mit den Viehhändlern Preise ausgehandelt und dann geschlachtet. Mit dem Blaustift wurden die Tiere markiert und dann hieß es: „Faß mal mit an“, wenn die Schweine in den Brühkessel geworfen werden mußten. Vier oder fünf, vor Feiertagen auch sechs Schweine verarbeitete die Fleischerei pro

Woche: Das meiste wurde zu Wurst und Speck, Bratenfleisch gab's nur am Wochenende.

Damals waren die fettesten Schweine noch die besten und teuersten. Durch Tasten am After oder am Rücken konnte man bestimmen, wie dick die Speckschicht war. Blieb die Druckstelle sichtbar, war das Schwein gut genug. „Im Fett fühlen sich die Schweine am wohlsten, und das macht sich auch am Fleisch bemerkbar“, erklärt der heute 66-jährige Gustav Raab. Magerschweine seien viel zu nervös, das

Fleisch schlecht. „Das liegt daran, daß die heutigen Mastschweine in 100 Tagen schlachtfertig aufgepeppelt werden.“ Zu Gustav Raabs Lehrzeit galt die Regel: „Ein Schwein muß Geburtstag haben.“

Der Krieg rationierte Fleisch und Wurst und damit die Existent der Raabs, das Haus im Buntentorsteinweg wurde 1945 völlig zerstört, 1950 wiederaufgebaut. Doch mehr als die große Geschichte sind es die kleinen Veränderungen, die den Arbeitsalltag einschneidend verändern. Die

Privatisierung des Schlachthofes 1973 ist so ein Ereignis: VieleSchlachter lassen jetzt nur noch schlachten, kaufen die toten Schweine und verwursten sie. „Wir haben fast alles selbst gemacht“ erinnert sich Gustav Raab. „Wer als Metzger etwas auf sich hielt, ließ sich nicht beliefern.“

Die maschinelle Wurst- und Fleischverarbeitung in den großen Fabriken wurde erst Anfang der siebziger Jahre zu einem echten Konkurrenten für die selbständigen Metzger, als die großen Supermarktketten Frischfleisch-und Wursttheken einrichteten. Zu dieser Zeit lernt im Hause Raab die dritte Generation ihr Handwerk.

1980 begann Andreas Raab die Meisterprüfung und experimentierte erstmals mit Wurst ohne Zusätzen. „Wir haben auf der Meisterschule immer wieder über die schlechte Qualität des Fleisches diskutiert“, erzählt er über

die Anfänge der Biowurst. „Irgendwann habe ich dann einfach probiert, die verschiedenen Mittel wegzulassen.“ Das war ein revolutionärer Schritt, der viel Kraft und Aufklärungsarbeit gekostet hat: Durch das fehlende Nitritpökelsalz beispielsweise hatte das Fleisch nicht mehr das blutrote Aussehen, das die KundInnen fälschlicherweise für ein Frischezeichen hielten. Und auch geschmacklich mutete der Fleischer seiner Kundschaft Neues zu: Er benutzte keine fertigen Gewürzmischungen mehr, sondern rührte die Kräuter selbst zusammen und entwickelte so eigene Geschmacksrichtungen .

Andreas Raab begann, die Metzgerei ohne Zusätze zu systematisieren. Per Anzeige suchte er Bauern, die ihre Schweine ohne Antibiotika und Wachstumshormone mästeten. Bis nach Schleswig-Holstein fährt er heute, um seine „Rohware“ einzukaufen. Aber Qualität ist teuer: Während ein Kilo herkömmliches Schweinefleisch am Haken vier Mark pro Kilo kostet, muß er für die Bioschweine 5,50 Mark bezahlen. Ein Schwein wiegt im Durchschnitt 80 Kilo.

Was für die Schweinverarbeitung gilt, gilt bei Raab für alle Tiere: Ob Ziege, Lamm, Rind oder Ente: Nirgends werden mehr Zusatzstoffe beigemengt. In Norddeutschland ist er der erste Biofleischer gewesen, aber nicht mehr der einzige: Konkurrenz aus Hamburg, Oldenburg und Hannover eifert heute mit um den Versandmarkt für Fleisch ohne Zusatzstoffe. Die Fleischerei Raab wird morgen 70 jahre alt. Markus Daschne