Up to date im Sattel

■ Ein Fahrrad ist ein Fahrrad. Falsch. Wer wirklich im Trend liegen und sein Image pflegen will, kauft sich Luxusversionen oder Spezialanfertigungen.

Einen Überblick über neueste Modelle gibt

CHRISTINE BERGER

ahrräder sind wie Schuhe - irgendwann ist der Punkt erreicht, wo die ausgetretenen Galoschen nicht nur völlig aus der Mode sind, sondern auch ihrer Funktion als bequemer Tretuntersatz nicht mehr gerecht werden. Der menschliche Trampler ist es leid, sich ständig darüber zu ärgern, daß es immer die anderen sind, die das allerneueste Modell unter den Füßen tragen. Kurzum: Der neueste Schrei darf nicht länger vor den eigenen Pedalen haltmachen - man will wieder beruhigt im Geist der neuen Zeit durchtreten. Und dafür wird dann auch schon mal kräftig investiert.

Wie schnell der Kauf eines neuen Drahtesels jedoch auch den finanziellen Ruin bedeuten kann, stellt spätestens fest, wer sich die Preisetiketten in den einschlägigen Geschäften unter die Nase hält. Kaum ein Zweirad, daß heute nicht mit vierstelligen Summen sein stahlhartes Outfit verkaufen möchte. „Billigräder sind völlig out. Die will doch heute niemand mehr“, erklären Fahrradhändler den Trend und rümpfen die Nase wie Juweliere über den Modeschmuck. Gefragt ist, was dick, stabil und gewissermaßen unverwüstlich über Stock und Stein rollt. Also eine Renaissance der unverwüstlichen Miele-Göppel vom Waschmaschinenhersteller?

Mitnichten. Die favorisierte Veloversion der 90er ist das Touren-, Reise- oder Travelrad, vor allem aber das geländegängige Mountain-Bike (MTB). Letzteres hat sich binnen kürzester Zeit als Renner der Saison entpuppt. Es hat sich wohl herumgesprochen, daß sich dieses Dickerchen mit dem Schaltungspotential eines LKWs (18 bis 32 Gänge) trotz seines eindeutigen Namens auch für die norddeutsche Tiefebene eignet. Dicke Stollenprofilreifen inklusive popfarbenem Stahlrohrstyling sind selten unter 1.500 Märkern zu haben und pendeln sich bei einem stolzen Preis von 3.000 bis 4.000 DM ein. Dennoch, „das Mountain-Bike ist der Renner“, sind sich die FahrradverkäuferInnen einig und reiben sich angesichts der klingelnden Kassen die Hände.

erkehrssicher ist das Edel-Bike damit noch lange nicht. Für Beleuchtung, Reflektoren und Schutzbleche muß extra gezahlt werden. Auch ein Gepäckträger ist in den seltensten Fällen serienmäßig. Doch darauf kommt es den überwiegend japanischen und amerikanischen Herstellern auch gar nicht an. „Montain-Bikes stellen einen Radtyp dar, der vor allem den Enthusiasten anspricht. Das Erlebnis der Natur, die Chance, von der Straße herunter ins Abenteuer abzubiegen das ist die Chance Montain-Bike“, heißt es in einem Werbeprospekt. Ob der Text auf die deutsch-deutsche Radelbewegung anspielen will? „Viele Radfahrer steigen auf das Mountain-Bike um, weil sie mal eine Tour durch die DDR starten wollen“, so eine Berliner Händlerin. Um den Kampf mit den dort weitverbreiteten Schlaglöchern im Asphalt heil zu überstehen, brauche man eben ein geländegängiges Gefährt, eben ein MTB.

Vielleicht aber auch nicht. Denn tut es dann nicht auch ein ATB? Letzteres Kürzel steht für All-Terrain-Bike und ist in velophilen Kreisen überhaupt der allerneueste Schrei. Allein der Name versetzt das Mountain-Bike eindeutig zurück in die Bergwelt und beweist, daß doch wirklich nur jenes Rad in allen Geländelagen etwas taugt, welches dies auch im Namen trägt. Das kann eben nur das All-Terrain-Bike von sich behaupten. Und das ist nicht der einzige Vorsprung gegenüber dem MTB: Das ATB rollt genauso auf Stollenprofilreifen, verfügt über eine ähnlich mondäne Gangschaltung und präsentiert sich ebenso mit „Hydro-Stop-Felgenbremse“. Nur ist das All-Terrain-Bike etwas schlanker, etwas größer und samt Beleuchtung, Schutzblechen und Gepäckträger regelrecht stadtfein.

Für den hartgesottenen MTB-Rider mag das ATB-Modell eher ein fauler Kompromiß für Sonntagsfahrer sein. Billiger ist die All-Terrain-Version mit seinem Durchschnittspreis von „lächerlichen“ 1.500 DM allemal.

as man auf dem Fahrradmarkt fast vergeblich sucht, sind die Tretuntersätze der Radrennfahrer und Fans der Tour de France. Rennräder sind out. Mit ihren mageren Reifen, dem unbequemen Rennlenkerbügel und der qualvollen Sattelkonstruktion passen sie nicht mehr in die Ära der behäbigen Pedalschlachtschiffe. „Die Kunden wollen nicht mehr nur im Geschwindigkeitsrausch über die Straßen flitzen. Sie wollen das Radfahren wieder bequemer“, meint die Zweiradverkäuferin mit Blick auf die Ladenhüter. Kunden sind allenfalls noch Radsportler, die auf Tempo fahren. Um den Markt mit den sensiblen Rennmaschinen dennoch nicht ganz zu Grabe zu tragen, haben sich die Hersteller etwas Besonderes ausgedacht. „Rennräder heißen jetzt zumeist Reiseräder“, verrät die Verkäuferin. Aufgemotzt mit Gepäckträger vorn und hinten, Beleuchtung und Schutzblechen, fallen die zarten Reifen kaum noch auf. Sogar auf die obligatorischen Rennlenker verzichten die Firmen schon mal, um ihre schwarzen Schafe an Mann oder Frau zu bringen.

er dem Modetrend im Räderangebot so gar nichts abgewinnen kann und dem Bike-Fieber eher skeptisch gegenübersteht, dem bleibt noch immer der Ideenreichtum und Erfindergeist vieler Fahrradtüftler. Sie produzieren in Handarbeit ihr ganz individuelles Zweiradmodell und produzieren immer öfter auch für den kommerziellen Markt. So auch die Berliner Erfinderwerkstatt. Dort stellen zwanzig arbeitslose Jugendliche Transport- und Sesselräder her, die auch für die Beförderung Behinderter geeignet sind. Die Technik: Vor der Lenkstange ist ein zweirädriger Rollstuhl installiert, der das Vorderrad ersetzt. Der gesunde Pedaltreter sitzt hinten auf und radelt auf diese Weise den Behinderten durch die Straßen.

Ebenfalls als „Dreirad“ ist auch das Sesselrad der Werkstatt konstruiert. Der Clou an diesem Fahrwerk ist der Sesselsitz Marke Regiestuhl. Da die Pedale nur in halber Liegestellung zu erreichen sind, tritt sich das Fahrrad mit fast horizontaler Rückenhaltung. Ein Shopper-Lenker vermittelt das Gefühl, auf einer Harley-Davidson für Sportliche zu sitzen.

Nicht ganz so schnell, dafür aber weniger kraftaufwendig sind Drahtesel mit Hilfsmotor. Auch sie sind vereinzelt im Fachhandel zu finden, werden aber zumeist noch im Eigenbau fabriziert. In der Regel verfügen diese Mischmodelle über einen 30-Kubik-Motor. Er kann wie bei einem Schlauchboot einfach dazugeschaltet werden, wenn der Gegenwind zu stark oder die Steige zu anstrengend wird. Aus Umweltgründen soll es die kleinen Stinker jedoch bald auch mit Elektromotor zu kaufen geben.

Wer zu guter Letzt einfach nur das Fahrrad quadratisch im Paket durch die Gegend tragen möchte, kann sich freuen: Die englische Firma Bickerton baut 11 Kilo leichte Faltfahrräder, die sogar eine Gangschaltung vorzuweisen haben. Also ein ideales Modell für den staugestreßten Autofahrer - raus aus dem Kofferraum, ruckzuck zusammengebaut und ab damit zum Kaffee an der nächsten Autobahnraststätte!