„...dann druck‘ die Legende...“

■ „Cheyenne“, John Fords letzter Western, Samstag, um 23 Uhr 40

Mein Name ist John Ford, ich mache Western“, pflegte sich der Altmeister des amerikanischen Cowboyfilms vorzustellen. Regisseure wie Alfred Hitchcock oder Orson Welles liebten seine Filme über alles und hielten ihn für einen der größten Meister ihres Faches überhaupt. Auf jeden Fall war er einer der fleißigsten. Über sechzig Western hat er gedreht, und gemeinsam war ihnen allen das ungeheure Maß an Geschichtsklitterung, -fälschung und purer Lüge, die Ford nicht nur wie kein anderer, sondern ganz bewußt betrieb, mit dem ausdrücklichen Wunsch, eine „ideale Vergangenheit“ zu zeigen, „an der sich ein Amerikaner aufrichten konnte“. Und er meinte natürlich die weißen Amerikaner, nicht etwa die dreckigen Rothäute, he, he, he.

In dem 1961 entstandenen Streifen Der Mann, der Liberty Valance erschoß läßt er folgerichtig einen Zeitungsverleger seine Auffassung von Geschichte aufsagen: „Wenn die Legende zur Wahrheit wird, dann druck‘ die Legende.“

Daß er 1972, ein halbes Jahr vor seinem Tod, die „Medal of Freedom“ für „außerordentliche Verdienste um sein Land“ erhielt, mag vielleicht auch ein kleiner Dank für seine Ausdauer und Hartnäckigkeit auf diesem Gebiet gewesen sein. Denn ganze Generationen konnten auf diese Weise desinformiert werden und den Standpunkt einnehmen: mein Gott, was hätten die Wilden ohne uns aus diesem herrlichen Land gemacht!

Doch ein Mal, ein einziges Mal nur wollte John Ford beweisen, daß er auch anders kann: In seinem letzten Western, Cheyenne autumn, 1964. Auf die Frage, warum er in diesem Film versucht habe, die Dinge mal anders als sonst darzustellen, meinte er denn auch ungeniert: „Jede Sache hat zwei Seiten, und ich wollte zur Abwechslung mal den Standpunkt der Indianer deutlich machen.“ Das stimmt. Er wollte das, ganz sicher. Die Geschichte ist nicht erfunden. Im Herbst 1878 war der Stamm der Oklahoma-Cheyennes unterworfen und wie Vieh in Reservate im 2.000 km entfernten Montana getrieben worden. Diese grenzenlose Demütigung, der Zusammenbruch ihrer Kultur, unbekannte Krankheiten, an denen die Menschen reihenweise starben und der mörderische Haß der weißen Siedler, all dies zwang die Häuptlinge Dull Knife und Little Woolf zu einer Verzweiflungstat: Sie brachen aus und wagten den langen Marsch zurück in ihre Heimat. Von den 250 Mitgliedern des Stammes schafften es ganze sechzig. Der Versuch, ihre Menschenwürde zu bewahren, trieb sie in den Tod - meist durch die Hand der Weißen.

John Ford hat diesen aussichtslosen Kampf als billiges sozialromantisches Spektakel inszeniert, in dem die Indianer auftreten, als hätten sie vorher in Boston noch schnell einen Crash-Intensity-Kurs in Denk- und Verhaltensweise der Weißen absolviert. Andererseits aber, weil nicht wirklich rüberkommt, welche existentiellen Nöte sie zu diesem Schritt trieben, hat man als Zuschauer das Gefühl, es doch mit einer Horde ausgemachter Blödiane zu tun zu haben, die quasi freiwillig in den Tod gehen. Indianer eben? That's history, würde J.F. vielleicht sagen. Wir meinen: trotzdem angucken! Warum? Nun, John Ford ist ein guter Filmemacher. Die Drehorte Monument-Valley und Rocky Mountains sind echt, die Landschaftsaufnahmen von betörender Schönheit. Seine Action -Einstellungen sind wie immer gelungen und bei denen zumindest hat es auch mit dem Schnitt geklappt. Wenn man nun noch berücksichtigt, daß Fords Ziehsohn und Lieblingsdarsteller, der auch mental mächtig aufgeschwemmte John Wayne, nicht mitspielt, na, das ist doch die halbe Empfehlung. Aber es kommt noch besser: Hollywood-Giganten der Kategorie Widmark und Edward G. Robinson treten auf, der noch knospende Zinken des jungen Karl Malden füllt ab und an die Leinwand (gottseidank ohne die stets gefährlich zuckenden Backenmuskeln seines späteren zeitweiligen Schattens Michael Douglas). Und James Stuart, in dessen Händen ein Colt wirkt wie eine Bibel in den Pranken Arnold Schwarzeneggers, darf Wyatt Earp spielen. Ein alter Schinken also, zugegeben, aber haben wir die alten Herren nicht immer abgöttisch geliebt? Apropos, wer aus den ganz alten Streifen noch die schöne Dolores del Rio in Erinnerung hat - sie mußte als eifersüchtige Saloonmexikanerin vom Dienst immer ihre herrlichen Zahnreihen blecken und unbeherrscht knurren

-wird sie hier als reife Squaw kaum wiedererkennen.

Philippe Andre