Apparat für kulturelle Indifferenz

■ Die britische Rundfunkkultur ist in Gefahr

Anthony Smith

In einer Rezension mehrerer Publikationen zur Problematik britischer Medien und Medienpolitik stellt der Autor einige grundsätzliche Überlegungen an zum Verhältnis von Medien und Gesellschaft. In dem hier abgedruckten Teil seines Artikels beschäftigt er sich mit dem Entwurf eines neuen Sendegesetzes, das die britische Regierung in Kürze dem Parlament vorlegen wird („Broadcasting . a Bill“. House of Commons, 6. Dezember 1989, HMSO. 159 Seiten, 11,30 Pund).

Die Beziehung zwischen Rundfunkgesetzgebung und Rundfunkkultur genau zu erfassen, dazu reicht unser Wissen immer noch nicht aus. Es ist leicht, den Druck zu identifizieren, dem ein System von innen und außen ausgesetzt ist, jedoch können wir durchaus nicht ableiten, ob eine Gesellschaft genuine Fernsehspiele, einen energischen Nachrichtenjournalismus oder eine wirkungsvolle und witzige Kabarettkultur hervorbringen kann. Wir können allerdings die Motive, die einem Regulationssystem innewohnen, untersuchen und ein Urteil über sie abgeben. Wir können uns das Ergebnis eines Regulationsvorhabens genauer ansehen und müssen uns dennoch fragen, ob ein gutes oder schlechtes Fernsehen oder Radio, ob das Ausmaß ihrer Zugänglichkeit oder Entfremdung, ihr Ge- oder Mißbrauch an Begabungen wegen der legislatven Vorgaben zustande gekommen sind oder trotzdem. Jeder Rundfunk ist das Ergebnis von Gesetzgebung. Nirgendwo ist er ohne Gesetze entstanden, und er kann wohl auch nicht allein entstehen. Weiterhin existiert er permanent in einem Zustand politischer Bedrängnis; entweder erholt er sich gerade von der letzten Reform oder wartet ängstlich auf die nächste. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs hat keine Regierung in Ost oder West die Sender ihres Landes, seien es private oder öffentlich-rechtliche, völlig in Ruhe gelassen. Die ihre Geschäfte damit machen, sitzen ständig in den Kulissen und warten auf den nächsten Schwung von Gesetzen und Regeln, und jede Programmentscheidung kann als Argument für kommende Veränderungen entschlüsselt werden. Obgleich also die Institutionen und Investoren im allgemeinen reich sind, müssen sie sich doch ständig auf Armut und Exil gefaßt machen. Und das ist vielleicht nicht einmal das Schlechteste. In Europa sind Frankreich und Italien hierfür die schlagendsten Beispiele, Großbritannien dagegen ist das dem politischen Druck am stärksten unterworfene. Die Institutionen der Radio- und Fernsehsender - sowohl ihre Studios und Redaktionen als auch die politischen Körperschaften - sind derartig gewöhnt an die endlosen Wiederholungen von Untersuchungsausschüssen, deren Berichte und ihre öffentliche Diskussion (von der manche behaupten, sie fände nie wirklich statt), von Weiß-Papier (und mehr öffentlicher Diskussion), Gesetzentwurf und parlamentarischer Debatte, daß Direktoren und Intendanten fast immer aufgrund ihrer Fähigkeit gewählt werden, landesweite und öffentliche Debatten hinter sich bringen zu können. Noch jede Regierung hat - seit den zwanziger Jahren bis heute - versprochen, das Medium nach diesem oder jenem Patentrezept umzubauen, und jede hat sich bisher am Ende mit einem Kompromiß zufriedengeben müssen, der im wesentlichen aus einem Entwurf von Rundfunk- und Fernsehleuten besteht, die ihre Vorstellungen der Regierung unterbreiten - und zwar in einer Sprache, die sich den Positionen der betroffenen Politiker anschmiegt.

Auch der gegenwärtig dem britischen Parlament vorliegende Gesetzentwurf ist durch diese Mühle gegangen, obwohl er aus den Reihen der wohl energischsten britischen Regierung dieses Jahrhunderts stammt, die am wenigsten bereit ist, Flausen zu tolerieren.

Es begann damit, daß die Regierung versuchte, der BBC einen so entscheidenden Schlag zu versetzen, daß der Sender unmöglich ungeschoren davonkommen konnte. Der sogenannte Paecock-Untersuchungsausschuß wurde eingesetzt mit dem Ziel, die völlige Veränderung der Finanzierung der BBC möglich zu machen. Dieses Projekt ging jämmerlich daneben (d.h. der Ausschuß hielt die Finanzierung durch Gebühren aufrecht). Die Regierung, die hartnäckig am radikalen Umbau nach den thatcheristischen Prinzipien von Deregulierung und Marktkonkurrenz festhielt, wandte daraufhin ihre Aufmerksamkeit dem kommerziellen Sektor zu. Die BBC ist, zumindest für diese Legislaturperiode, aus der Schlacht erhobenen Hauptes hervorgegangen; ihre Finanzierung durch Gebühren war zwar gefährdet, ist am Ende jedoch durch Bindung an den Preisindex sogar gestärkt worden. Den schulmeisterlichen Regierungsinterventionen, von denen seit einem Vierteljahrhundert noch keine Neufestsetzung der Gebühren frei gewesen ist, ist somit fürs erste ein Riegel vorgeschoben.

Wer jedoch ein Regierungsmitglied verspotten will, weil es nicht gelungen ist, die BBC zur Annahme von Werbespots zu zwingen, sie zu spalten, ihr den Massenkanal, das Erste Programm, wegzunehmen oder irgendeine der anderen Drohungen wahr zu machen, der wird bloß ein ausdrucksloses Lächeln ernten, soll heißen, daß die Regierung sich nur zurückgezogen hat für den nächsten Angriff. Die werden vielleicht lange warten müssen, bis es ihnen gelingt, die alte BBC zu überlisten. Dennoch wird das Parlament 1991 nachdem es in dieser Legislaturperiode die vorliegende Reform des kommerziellen Sektors genehmigt hat - die Gebührenpflicht noch einmal zur Diskussion stellen, und schon 1996 muß das Vertragsgefüge, innerhalb dessen die BBC operiert, vollständig neu verhandelt werden. Der Sender schweigt und verschießt kein unnützes Pulver. Er hält sich bereit für kommende politische Scharmützel und weitere Auftritte im endlosen Drachenkampf der Institutionen, der regelmäßig aufs neue ausbricht, alle fünf Jahre in den letzten siebzig.

Statt dessen wird uns die Thatcher-Regierung nun ein neues Design für das kommerzielle Fernsehen schenken. Das neue System soll das Monopol auf die Finanzierung durch Anzeigenverkauf brechen, indem es Channel4 zwingt, seinen Werbezeitverkauf der Konkurrenz eines Kanals auszusetzen, der „Channel3“ (früher: ITV) heißen soll. Im Laufe der Debatte in den letzten vier Jahren verlor die Regierung jedoch beträchtlich an ideologischem Boden, so daß die Bedingungen dieser neuen Konkurrenz hoffen lassen können, daß Channel4 weiterhin einer der innovativsten und mutigsten Sender der Welt bleiben wird, gesetzt, seine Manager begegnen der neuen Herausforderung mit entsprechender Energie. Ein neuer fünfter Sender, ein Satellitensender, wird langsam, aber sicher seinen Weg in den Markt finden und den Anzeigenkunden eine weitere Möglichkeit bieten, billigere Fernsehwerbezeit zu kaufen. Das Satellitenfernsehen, das übrigens dem Regulationssystem nicht vollkommen entzogen ist, wird ermuntert, sich einen festen Platz auf dem Markt zu erobern. Sich eine Marktposition in Großbritannien zu schaffen wird jedoch solange nicht einfach sein, wie die existierenden vier (oder fünf) Programme ihrem Publikum eine große Auswahl an Sendungen bieten. Dennoch wird es das Satellitenfernsehen sein - eher jedenfalls als der regierungsamtliche Druck in Richtung Konkurrenzfähigkeit -, das die traditionellen Voraussetzungen des britischen Rundfunks entscheidend beeinflussen wird. Denn das Satellitenfernsehen genießt andere Methoden der Regulation und wird daher auch bald über ein Einkommen verfügen, das groß genug ist, um innovativ in das Medium investieren zu können.

Am Ende sind es weder die ideologischen Vorlieben des Thatcherismus noch die unselige Rachsucht mächtiger Politiker, die das Medium umgestalten, sondern die veränderten Möglichkeiten der Technik und die daraus folgenden weltweiten Veränderungen in der Unterhaltungsindustrie. Die gegenwärtige Neuorganisation des nationalen Regulationssystems zwingt die Unternehmen zum Handel mit ihren Sendekonzessionen - was sie womöglich nur finanziell noch mehr bedrängt, noch gieriger macht und noch unsensibler gegenüber den moralischen und kulturellen Implikationen ihres Tuns.

In Australien sind in den letzten Jahren alle drei Kommerzsender von reichen Haien (die auch die britischen Rundfunk- und Fernsehsender zukünfig bedrängen werden) aufgekauft worden, und zwar zu Preisen, die den wahren Marktwert der Sender bei weitem übersteigen. Um den Betrieb aufrechterhalten zu können, waren sie dann gezwungen, Teile ihrer Sendekapazitäten an populäre Massenunterhaltungssendungen zu verscherbeln, was zu weiteren Preissteigerungen um Hunderte von Prozenten führte. Alle drei Nachfolgeunternehmen sind jetzt in größten Schwierigkeiten; eines ist in die Hände der Empfänger übergegangen und wird jetzt vom produktiven Sektor der australischen Industrie bezahlt, für deren Belange habgierige Geldleute inzwischen keinen roten Heller mehr übrig haben. Die Sendekultur eines ganzen Landes ist so mitsamt seinen vielen Eigenproduktionen und einigen sehr spannenden Experimenten und Innovationen - dabei eindeutig lebensfähig, kulturell interessant und prosperierend kaputtkonkurriert worden. Auch ein mögliches Schicksal der britischen Rundfunkkultur.

Die Fernseh- und Rundfunkstruktur ist eine der wichtigsten Institutionen eines Landes; wichtiger als sie ist nur noch das Parlament. Der in Medien gezeigte Mut ist immer auch ein Indiz für den Zustand der Moral und für den Zustand anderer ziviler Institutionen, vom Erziehungswesen über Presse, Kunst, Justiz bis zur Religion. Die BBC und die kommerziellen Unternehmen sind Barometer und Schutzherr, Anlaß und Wirkung, Dolmetscher und Anstifter zugleich.

Eine Struktur, wie sie die neue Rundfunk- und Fernsehgesetzgebung in Großbritannien schaffen würde - sie hat nicht alle parlamentarischen Hürden passiert -, inthronisiert als höchste Qualifikation des Managements nichts anderes als Buchführung, unternehmerische Frechheit, Piraterie und allgemeine Raffgier. Das Ergebnis wird für die politische Textur der Gesellschaft wahrscheinlich verheerend sein, auch wenn das nicht so schnell und einfach wahrnehmbar ist. Was die Regierung zu kreieren versucht, ist weniger ein diktatorisches Mittel der Zensur als einen Apparat für kulturelle Indifferenz. Vielleicht wird sie ja mit diesem Unternehmen Schiffbruch erleiden, vielleicht sogar durch die von ihr selbst geschaffenen Institutionen - aber auch diese Hoffnung ist keine besonders erfreuliche.

Anthony Smith ist Präsident des Magdalen College, Oxford. Er hat mehrere Bücher zum Thema Medien und Politik veröffentlicht und ist Vorsitzender des Direktionskollegiums von 'Index on Censorship‘.