Litauen ersucht USA um Anerkennung

■ Landsbergis lehnt Referendum ab: „Volksabstimmung nur über Eintritt in die UdSSR möglich“ / Havel schlägt CSSR als „neutralen Boden“ für Dialog vor / Erzbischof von Vilnius warnt vor übereilten Schritten / Konflikt um von Moskau eingesetzten Generalstaatsanwalt

Moskau (ap) - Im politischen Konflikt zwischen Moskau und der abtrünnigen Republik Litauen haben sich am Donnerstag widersprüchliche Tendenzen gekreuzt. Nachdem zunächst beide Seiten versöhnliche Gesten gemacht hatten, trumpfte das litauische Parlament mit einem Schreiben an den amerikanischen Kongreß auf, in dem es nach einem Bericht der sowjetischen Nachrichtenagentur 'Tass‘ die USA ersuchte, „die Regierung der wiederhergestellten litauischen Republik“ anzuerkennen und zu unterstützen.

Präsident Landsbergis erklärte vor Journalisten in Wilna erneut seine Bereitschaft, mit Moskau über die Beilegung des Verfassungskonflikts zu sprechen. Er lehnte es jedoch ab, den Austritt Litauens aus der UdSSR zum Gegenstand einer Volksabstimmung zu machen, was noch am Mittwoch von Moskau angeregt worden war. Litauen sei ein unabhängiger Staat, eine Volksabstimmung könne es höchstens über den Eintritt in die UdSSR, über eine Konföderation mit anderen baltischen Staaten oder ähnliche Fragen geben.

Der tschechoslowakische Staatspräsident Vaclav Havel hat nach einem Bericht der Prager Medien sowohl Landsbergis als auch den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow telegrafisch zum friedlichen Dialog aufgefordert und die CSSR als „neutralen Boden“ für einen solchen Dialog beider Politiker angeboten. Laut 'adn‘ verlautete aus dem Presseamt des Obersten Rates Litauens, die litauische Ministerpräsidentin Kazimiera Prunskiene habe vergeblich versucht, mit Gorbatschow telefonisch über die bestehenden Probleme zu sprechen. Gorbatschow habe ein Gespräch aus prinzipiellen Motiven abgelehnt.

'Tass‘ zitierte am Donnerstag Passagen aus einem Interview des Wilnaer Erzbischofs Julionas Stepanavicius, das am selben Tag in der italienischen Zeitung 'Repubblica‘ erschienen war. Der Kirchenfürst bekannte sich grundsätzlich zur Unabhängigkeit Litauens, war jedoch bemüht, die Wogen zu glätten, indem er vor übereilten Schritten warnte.

„Die Frage des Zeitpunkts ist keine sekundäre. Sie mag sich vielmehr als entscheidend erweisen. Eine Lostrennung von der UdSSR sollte hinsichtlich aller Konsequenzen vom militärischen, politischen und wirtschaftlichen Standpunkt aus sorgfältig erwogen werden“, wurde der Erzbischof zitiert.

Die Moskauer Regierung versuchte am Freitag, in Litauen einen von Moskau ernannten Generalstaatsanwalt einzusetzen. Der stellvertretende sowjetische Chefankläger Wassiljew forderte die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft Litauens auf, nicht die Weisungen aus Vilnius zu befolgen, sondern die aus Moskau - ohne Erfolg; außer 13 Angestellten verließen alle den Raum.