Hoch verschätztes Publikum

■ Die Sportkolumne

Drei Worte über die Zuschauer: ein wunderbares, ein trauriges und ein gefährliches...: Einer meiner Freunde besuchte jüngst Verwandte in der Bundesrepublik, in Düsseldorf. Er ist kein Freund des Leistungssports, eher zu den wachen Kritikern der Leibesübungen zu zählen. Die Verwandten wollten dem Besuch von drüben nun das Beste bieten - und nahmen ihn mit zur DEG. Das sind die eistanzenden Raufbolde, die Düsseldorf zur Eishockey -Hauptstadt der BRD machen wollen. Mein Freund war beeindruckt: Ausverkaufte Halle. 10.000 Zuschauer. Nirgendwo Krawalle. Familienatmosphäre mit Wunderkerzen, wandernden Weinflaschen, und fällt ein Tor, fällt Hinz dem wildfremden Kunz um den Hals. Und alles singt, weil's noch mehr Tore bringt. Als die DEG nun nach fünfzehn Jahren wieder Eishockey-Meister wurde, sang die ganze Halle wie die Fischer-Chöre zu ihren besseren Zeiten. Ich weiß nicht, ob er, mein Freund, mitsang. Resümee: Wunderbar.

Handball. In Leipzig hat der Club zwei Oberliga-Teams. Männer sind gut, die Frauen sind besser. Doch niemand will sie sehen, fast niemand. Zum Spitzenspiel der Männer - SC Leipzig gegen die Sportpolizisten aus Berlin - kamen 350 Zuschauer. Der größte Teil davon: Verwandte und Bekannte der Spieler und Mitglieder des Clubs. 350 Leute, trotz Tabellenzweiten, trotz Tombola und prominenten Pausentalks. Das ist mager und unter sportmarktwirtschaftlichen Bedingungen existenzgefährdend. Die Sportfans der Sportfeststadt glänzen durch Abwesenheit, und die Augen der Clubfunktionäre glänzen vor Ratlosigkeit. Bilanz: traurig.

Fußball. Der aufmerksame Leser der Sportblätter und Sportseiten runzelt besorgt die Stirn: Es mehren sich die Berichte über Randale, Krawalle und Kloppereien. Beim aufmerksamen Stadionbesucher verschwinden die Sorgenfalten schnell. Ihm ist das nicht neu. Es war schon oft so in den „Südkurven“ der Stadien der Oberliga. Die heißblütigen Fans des Südens brüllten gegen die Fußballer des Nordens. In den Hexenkesseln des Nordens fand dasselbe statt. Nur umgekehrt. Auch rassistische und faschistische Sprüche kamen immer häufiger ins Repertoire der Stadionkrakeeler. Alle, auch die Journalisten, konnten es hören. Darüber geschrieben haben sie nicht. Oder nicht schreiben dürfen. Jetzt können sie, nein, jetzt müssen sie schreiben. Denn unter den Gästen aus dem Westen, die jetzt unsere Stadien besuchen, sind auch solche, die den militanten Fanatikern den Rücken und die Fäuste stärken. Der Sportplatz wird zur Bühne ihrer sinnlosen Schlachten. Tendenz: gefährlich.

Extreme Ansichten - keinesfalls. Denkanstöße eines Zuschauers für Zuschauer - hoffentlich. Das wars.

Hagen Boßdorf