Kunstfilm gegen Massensoße BRD-Filmverleih Arsenal in der DDR

■ Filmwoche in Leipzig während der Frühjahrsmesse / Arsenal stellt sich vor / Der Verleih will mit neuen ästhetischen Inhalten und Formen überzeugen / In Leipzig wird ein Filmbüro errichtet

Filmwoche. Während der Frühjahrsmesse wurden in den Nachtvorstellungen der Leipziger Kinos erstmals erotische und Horrorfilme gezeigt. Die Karten gab es morgens um 9 Uhr. Um 9.15 Uhr waren sie ausverkauft ... Eine Woche später präsentierte erstmals ein Filmverleih der BRD, Arsenal, seine Produkte auf dem DDR-Kinomarkt. Er kündigte sogenannte anspruchsvolle Filme an, womit der Verleiher vor allem unabhängig produzierte Filme meint.

Die ersten Vorstellungen liefen vor halbvollen Kinosälen. Die akademische Mittelklasse fühlte sich wohl nicht angesprochen, nur die junge Kulturszene kam, obwohl die Studenten noch Ferien hatten. Dabei suchten die Veranstalter mit Gesprächen, Freibier und schwäbischem Gebäck ideenreich den Kontakt zum Publikum. Nun laufen täglich drei Filme. Angefangen vom talking-head-Musikfilm Stop makin‘ sense, über den ungarischen Streifen Mein zwanzigstes Jahrhundert (Goldene Kamera in Cannes 1989) bis hin zu Müllers Büro - Nachfolger von Niki List‘ „Sternbergs shooting stars“. Insgesamt 21 verschiedene Filme. Den Anfang machte Wallers letzter Gang von Christian Wagner.

Ein idyllisches Tal im Allgäu. Hier soll eine Bahnlinie stillgelegt werden. Und mit ihr der alte Streckenläufer Waller. Sein letzter Gang entlang der Schienen wird ein Gang durch die Zeiten. Eine leise und poetische Geschichte, gleichsam humorig und spannend erzählt.

Der dreißigjährige Wagner wurde für seinen Debütfilm mehrfach preisgekrönt (Bayerischer Filmpreis '88, Bundesfilmpreis '89). Er gehört der ersten Generation junger BRD-Filmemacher an, die aus dem Schatten der Faßbinder, Herzog oder Kluge heraustreten könnten. Mit Wallers letzter Gang, einem fortschrittskritischem Film, kam er nun in ein Land, das gerade den „Fortschritt“ für sich erschließen will.

Wagner meint, daß solche Filme gerade jetzt wichtig für die DDR seien, weil die helfen könnten, Fehler zu vermeiden. Er erzählt: „DDR, das große Ding, mach was drüber, hat man zu mir gesagt. Ich habe aber gar keine Beziehung zu diesem Land. Ich würde das hier abfilmen, als wenn ich in der Toscana drehe. Diese DDR-Filme müssen Leute von hier machen, sie kennen ihre Heimat. Und nichts ist schlimmer als ein Regisseur ohne Heimat.“ Er denkt an Beyer, Kohlhaase und Misselwitz und erhofft sich von ihnen Impulse für den gesamtdeutschen, anspruchsvollen Kunstfilm. „Es wird ein großes Problem, wie diese Filme europaweit überleben können gegen die vereinheitlichte Massensoße, die da von Amerika ausgeht. Diese Art kultureller Barbarei könnt ihr euch hier noch gar nicht vorstellen.“ Und deshalb sind auch Verleihe wie Arsenal so wichtig.

Der Arsenal-Filmverleih Tübingen ist eine unabhängige Filmgesellschaft. Seit über zehn Jahren bringt er anspruchsvolle Filme aus den USA, England, Frankreich und Lateinamerika in die deutschsprachigen Kinos. Und nun auch in die DDR, wo der Verleih bisher nur bei der Dokfilmwoche präsent war. Die Musikfilme der legendären Filmnächte kommen von Arsenal. In Leipzig wollten die Leute von diesem Filmverleih die ersten sein, bevor die „Großen“ des Filmgeschäfts wie eine Walze über die DDR-Kinolandschaft hinwegrollen.

Der Präsident des Filmverleihs, Stefan Paul, gebürtiger Leipziger, setzt auf die Leipziger, setzt auf die Leipziger Kinoszene. Er gibt seinem Vertrieb eine Chance, weil er mit Qualität, mit neuen ästhetischen Formen und Inhalten überzeugen will. „Unsere Gesellschaft steigt mit Geld, Technik und know how ein. Erste Absprachen mit Spielstättenleitern und der Bezirksfilmdirektion sind gemacht. Wir denken jetzt zuerst an die Errichtung zwei weiterer Studiokinos“, erzählt Stefan Paul, der vor vier Jahren auf der Dokfilmwoche seinen Mercedes-Soja-Film zeigte.

Paul will in der DDR mit denen zusammenarbeiten, die am schnellsten seine Filme in die Kinos bringen. Angebote aus Dresden und Magdeburg bekam er bereits.

Um ständig im Gespräch zu bleiben, errichtet der Arsenal -Filmverleih ein Filmbüro in Leipzig. Von dort können dann die Kopien übers ganze DDR-Land verteilt werden. „Das Büro ist aber nicht nur für uns. Auch andere Gesellschaften wie Concorde-Film München, die mit uns auf einer Linie liegen, können es nutzen“, ergänzt Stefan Paul. Von einer Zusammenarbeit mit dem Progress-Filmverleih der DDR weiß er nichts zu berichten. Nur, daß sie ihr Spiel-Feld nicht kampflos verlassen will. Doch der Gegner von Progress ist nicht Arsenal. Stefan Paul und seine Leute wissen, daß sie nur kleine Akzente setzen.

Jacqueline und Hagen Boßdorf