: Marokko: Elite und Proletariat
■ Fatima Mernissi referierte brillant über Frauen in einem islamischen Land
„Frauenbewegung in Marokko“. Wenn sie sehe, wie ihre Veranstaltung im Programm der Frauenwoche angekündigt sei, müsse sie unwillkürlich schmunzeln: „Frauenbewegung in Marokko“ - die gäbe es doch gar nicht. Die Referentin, die ihre Veranstaltung am Freitag mit dieser Bemerkung einleitete, kennt sich aus in Marokko: Fatima Mernissi. Marokkanische Hochschullehrerin und gemeinsam mit der Ägypterin Nawal El-Saadawi eine der profiliertesten Autorinnen zum Thema: „Frauen in islamischen Ländern.“
Fatima Mernissi stellte vor den Zuhörerinnen im westlichen Bremen gleich zu Anfang klar: „Eine Frauenbewegung kann es nur da geben, wo es demokratische Rechte gibt, wo man sich versammeln darf. Das ist der Unterschied zwischen Euch und uns. Wir könnten nicht in einer Universität ein solches Frauentreffen organisieren.“
Mernissi ordnet die Marokkanerinnen zwei großen „Frauengruppen“ zu: Auf der einen Seite sieht sie die weibliche „Elite“, gebildete Frauen mit abgeschlossener Ausbildung, mit „Diplomen“. Diese weibliche Elite Marokkos hat die bundesdeutsche Frauen bereits in manchen Bereichen überholt. Mernissi über Marokko: „Der Staat, der sich immer als männlich sieht, ist von innen heraus zu einem Drittel feminisiert.“ Den Bildungssektor haben die Marokkanerinnen bereits soweit infiltriert, daß sie ein Drittel aller Uni -Professuren besetzen. Andere Bereiche wie der Justizapparat und das Militärwesen, sperren sich noch gegen Frauen. Die Frauen der Elite sind in unzähligen kleinen Zirkeln tätig, forschen über die Lebensbedingungen von Frauen, tauschen sich in kleinstem Kreis aus. Aber eine „Bewegung“ gibt es nicht, wie Fatima Mernissi am Freitag noch einmal betonte.
Die zweite und viel bedeutendere „Frauengruppe“ in Marokko ist laut Mernissi das „weibliche Proletariat“. Es verhalte sich aber bisher noch ruhig. Es gebe überhaupt keine Kommunikation zwischen Staat und den arbeitenden Frauen des Volkes. Dies sei zum Beispiel daran zu merken, daß die Staatsmänner zwar laut darüber debattierten, ob Abtreibung im Islam verboten sei, daß die Frauen aber ungerührt davon die Abtreibung praktizierten. 97 Prozent der Marokkanerinnen auf dem dem Land sind Analphabetinnen. Mernissi: „Achzig Prozent der arabischen Frauen können nicht lesen und schreiben. Und das trotz des Ölgeldes!“ Eine marokkanische Teppich-Knüpferin bekommt nur ein Viertel des marokkanischen Mindestlohns, eine Frau, die Jeans für westliche Firmen näht, geht ähnlich leer aus. An dieser Stelle ihres Referates stellte Mernissi einen deutlichen Bezug zu ihren Zuhörerin
nen auf der Frauenwoche her: Sie sprach sie als Hauptabnehmerin der marokkanischen Teppichware und als Jeans -Trägerin an. Ohne Vorwurf in der Stimme. Als sie gefragt wurde, warum sie ihre Feder als Waffe betrachte, wo doch die Mehrheit der Marokkanerinnen ihre Bücher gar nicht lesen könnten, erwiderte sie, klar und überlegt: „Es ist Tradition, den Frauen der Elite Schuldgefühle einzuimpfen, weil sie der Elite angehören. Aber die Frauen der Elite sollten klar sehen, daß sie keine Missionarinnen sind. Wenn ich schreibe, sind mein Ziel die Machthaber, nicht die armen Frauen. Ich glaube nicht, daß es der Job der Elite ist, den Armen zu helfen. Denn sehr oft ist es dann so, daß wir vor allem uns selbst helfen.“
B.D.
P.S. Leider passen die Gedanken der Referentin über die Macht des Islam nicht mehr in diesen kleinen Artikel. Interessierte seien in die Büchereien verwiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen