MUSKELGLÜCK FÜR VERKRAMPFTE

■ "Woza Albert" - eine Inszenierung von Peter Brook im Haus der Kulturen der Welt

Der Messias, so wurde am Wochenende im Haus der Kulturen der Welt nachgewiesen, könnte sich heutzutage durch eine einfache Wiederauferstehung nicht ausreichend legitimieren. Sieben Leben müßte er im Leib haben wie eine Katze oder die Wiederauferstehung in Serie produzieren, wollte er sich dem in den letzten 2000 Jahren angewachsenen menschlichen Gewaltpotential nach wie vor als überlegen erweisen. Mit einem vom Grabausgang weggerollten Stein wäre heute kein Ostern mehr zu inszenieren.

Ein wegen mangelnden Fahrgelds festgenommener südafrikanischer Straßensänger leitet dieses Planspiel ein: Im Gefängnis bringt er die Idee in Umlauf, Morena - das Zuluwort für Messias - sei mit einem Jumbo-Jet in Johannesburg gelandet, um die Schwarzen zu erlösen. Der Wunsch gebiert Realität: Obwohl keiner ihn gesehen hat, wissen alle Schwarzen, daß er mitten unter ihnen ist. Friseure, Straßensänger, Händler, Polizisten und Gefangene sprechen nurmehr von Wundern, die er umgehend folgen lassen wird.

Der Wurstverkäufer, der fliegenbesetztes Lammfleisch für teures Geld verhökert, weiß, daß Morena neben Hotdogs und Mayonnaise ihm zahlreiche Kunden bringen und den Besuch der Schule ermöglichen wird. Der Straßenfriseur, der seinen Einheitsschnitt je nach Laune als französischen, deutschen oder Käseschnitt feilbietet, schwärmt von dem Friseurladen mit Spiegeln und Kacheln, in dessen Besitz er dank Morenas Hilfe in Kürze gelangen wird. Arbeitslose, die sich den Weißen andienen und mit gegenseitigen Schmähungen auszustechen versuchen, wissen von ihrem kommenden Dienstverhältnis beim Messias zu erzählen: Dort brauche man keinen Ausweis und keine Arbeitserlaubnis mehr. Einer erbittet sich vom Messias einen Chevrolet, ein andere prophezeit, daß Morena einen einzelnen Ziegelstein in eine Million Ziegel verwandeln wird.

Morena, das wird allerdings auch klar, wird den Kreuzweg wieder gehen müssen, wird von der Regierung der Weißen zum Tode verurteilt werden. Als Kommunist und Sympathisant der Schwarzen wird er verhaftet werden. Aber er wird durch das Dach des John-Vorster-Gefängnisses zum Himmel fahren. Seine Wiederkehr, bei der er diesmal von der weißen Regierung als Ehrengast behandelt und zu den Sehenswürdigkeiten des Landes geführt wird, endet wegen seiner regimefeindlichen Äußerungen erneut mit seiner Verhaftung. Diesmal wird er auf die Gefangeneninsel Robben Island vor Kapstadt gebracht. Da er aber über das Wasser laufen kann, entkommt er erneut.

Da greift die Regierung zum letzten Mittel: Bei seinem dritten Besuch läßt sie eine Atombombe über ihm abwerfen. Morena stirbt, aber am dritten Tag sieht man ihn wiederauferstehen. Er erweckt alle toten südafrikanischen Freiheitskämpfer zum Leben, Albert Luthuli, Steve Biko, Ruth First und die anderen. Mit „woza“ („erhebe dich“) tut er die Gräber auf.

Dieses Märchen von Percy Mtwa, Mbongeni Ngema und Barney Simon (Market Theatre, Johannesburg) wurde von Peter Brook mit den beiden schwarzen Darstellern Mamadou Dioume und Bakary Sangare in Szene gesetzt. Der Regisseur hat auf seiner Reise durch das Welttheater, auf der er Körpersprachen und Ausdrucksformen anderer Kulturen sammelt, um sie im Schauspieler abzuspeichern, nach Indien jetzt Afrika entdeckt und mit Hilfe des von ihm so genannten „Büchsenöffnerprinzips“ die Tatsache, daß Afrika in uns allen ist. Nach dieser Aufführung möchte man es fast glauben. So oder ähnlich hat jeder von uns auch schon mal Theater gespielt.

Die vorgeführte Natürlichkeit, die durch Verzicht auf Formgebung uns in den Genuß authentischer nackter Hintern und im Freilauf gereifter Muskeln kommen ließ, sollte vermutlich wieder einmal den Beweis erbringen, daß Homo, je mehr naturatus, um so mehr ludens ist. Man male sich die Nase weiß, um ein Weißer zu werden; man lege die Hände um die Ellbogen des anderen Armes, um ein Fernsehansager zu sein; man stelle sich auf leere Bretter in einem leeren Raum - und das Brooksche Theater ist da. Im übrigen muß ein Schwarzer nur „sein“, um zu wirken, nur singen, tanzen und hinter einem Eimer verschwinden, um ein anderer und ein guter Schauspieler zu sein - dieses unverkrampft schwitzende Spiel wurde den Berliner Wildheitssüchtigen als echte südafrikanische Expressivität und gleichzeitig als uns ergänzendes Teilstück des vollständigen Menschen geboten, wofür sie sich denn auch mit frenetischem Applaus bedankten.

Michaela Ott