BILDERBUCHSTABIEREN

■ Ulrike Hogrebe in der Pumpe

Auf einer Leinwand ist eine rote neben eine orangefarbene Fläche gesetzt. Ein kleiner gelber Streifen betont die Grenze der Flächen; doch könnte er in seiner gekrümmten Anlage auch zum verbindenden Band werden. Im Roten taucht der Schemen eines Kopfes und einer Hand auf, die nach dem orangefarbenen Feld hinübergreift. In der unteren Ecke des Orange ist ein kleines Fensterchen offengelassen, durch das die darunterliegende blaue Farbe blinkt. Von dort aus aufmerksam geworden, entdeckt der Blick beim Wandern über die Leinwand die Durchlässigkeit der roten und orangefarbenen Farbhaut. Überall blitzen winzige Spuren Blau auf, die dem breiten Pinsel der Übermalung zwischen den Pinselhaaren durchgingen. Die Farbe versiegelt die Oberfläche nicht; das Bild erweist sich nicht als hermetisch verschlossener Block, sondern läßt die Augen eindringen.

In der rein faktischen Bildbeschreibung spiegelt sich mein Versuch, Ulrike Hogrebes Bilder als konkrete Erfahrung zu begreifen und nicht mit symbolischer Bedeutung von außen aufzuladen. Bedeutung aber schiebt sich trotzdem in das Nachbuchstabieren des Malvorgangs ein, indem die konkrete Materialität des Bildes Vorstellungen von analogen Prozessen weckt. Allein die Schichtung der Farbe wird so zur Geschichte, zum Bild der Ablagerungen. Jedes Bild erhält so Vergangenheit und Gegenwart.

In früheren Bildern konzentrierte sich Ulrike Hogrebe auf das Motiv großer Köpfe. Sie verwischte die Details und erprobte in großzügigen Pinselschwüngen die Eigenständigkeit der malerischen Geste und verzichtete auf Bedeutungsverweise, die über die Bildwirklichkeit hinausgingen. Von den Köpfen sind nur noch ovale Flächen oder bloße Umrißlinien zurückgeblieben. Aber mit dürren Strichen kratzt sie andere Figurationen in die dicke Farbe. Getreppte Linien, mit Zacken umrissene Flächen, bauchige Formen. Da steht Langstieliges mit gabeligen Verzweigungen: dadaistische Mechano-Gewächse, aus der Begegnung von Lampen und Blumen gezeugt. Nicht der organischen und nicht der synthetisch geschaffenen Welt gehören diese Dinggewächse an, sondern allein der Wirklichkeit des Gemalten. So brauchen auch Hogrebes Vierbeiner keinen festen Boden, auf dem sie stehen, sondern treiben schwerelos im Bildraum. Es gibt für den gemalten Hund keinen Grund, nicht, auf dem Rücken liegend, durch die gelbe Nacht am schwarzen Mond vorbeizusegeln.

In den Zeichnungen bekundet der fest aufgedrückte Stift noch den Versuch, Erlebtes in seine Umrißlinien zu bannen. Doch wie in einer Kinderzeichnung fransen die Konturen aus, findet die Linie nicht mehr zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Als würde die Abstraktionsleistung der Linie ständig boykottiert, schlägt sie Kapriolen, gefällt sich in Schnörkeln und bricht abrupt ab. Kleine ausgemalte Flächen, auf denen der Stift kreuz und quer herumfuhrwerkte, bezeugen kurze Phasen intensiver Anstrengung und Konzentration. Ohne Rücksicht auf die schon verzeichneten Ansätze von Figuren wird ein neues Liniengeflecht darübergeworfen. Ein dreieckiger Kopf mit Hundeohren schielt aus dem schwindelnd steilen Liniengewirr der Achterbahn. Der Ort auf dem Papier kann immer von neuem besetzt werden, denn wie sollten sich die schon vorhandenen Striche zur Wehr setzen. So findet die Malerin in der Nachahmung der scheinbaren Unlogik und chaotischen Anordnung von Kinderzeichnungen die von Bedeutungskonventionen und Kodierungen befreiten Möglichkeiten der Zeichnung. Diese Entdeckung der Freiheit erlaubt nun, ebensogut einen die Achterbahn hinabsausenden Hund wie boxende Vogelmenschen in den Linien zu lesen.

In der „Pumpe“, dem Schöneberger Jugend- und Stadtteilzentrum, haben die Bilder Ulrike Hogrebes größtenteils ein Publikum, das erst noch die gesellschaftlich vereinbarten Kodes und eine eindeutige Zeichensprache lernen muß. Die Behauptung der autonomen Bildwirklichkeit ohne realen Referenten reibt sich am Training der alltäglichen Kulturtechniken, in denen das Zeichen schon als Garant der außer ihm existierenden Wirklichkeit mißbraucht wird. Kinder, die gerade die Beherrschung allgemeingültiger Zeichen als Zugang zur Macht der Erwachsenen lernen, können ganz fuchsig werden, wenn man ihren gekrakelten Linien die Anerkennung als Bild von etwas verweigert. Die Künstler dagegen üben die Regression, um die nur antrainierte Zusammengehörigkeit von Form und Bedeutung wieder abzustreifen und nach einer authentischen Verbindung zu suchen.

Katrin Bettina Müller

Ulrike Hogrebe, Bilder und Zeichnungen. In der „Pumpe“ bis zum 18.April täglich von 11 bis 22 Uhr, samstags von 14 bis 22 Uhr.