Der Löwe ist los

■ Stadtmagazine etablieren sich in der DDR

Große Pressekonzerte und kleine Anzeigenblätter drängen nach „drüben“. In der zukunftigen Ex-DDR lauert ein Konsumentenheer, das mit westlichen Inseraten über kommende Wahlmöglichkeiten informiert sein will. Anzeigen benötigen ein redaktionelles Umfeld, und das liefern in einem überaus attraktiven Marktsegment die Stadtmagazine. Auf östlicher Seite ist, so hat Manfred Hobsch von der Berliner 'Zitty‘ festgestellt, Interesse für diese regional orientierten Zeitschriften durchaus vorhanden. Der Grenzübergang der 'Zitty‘ nach Ost-Berlin und in das weitere Berliner Umland sei „bombig angelaufen“.

Ein neues Magazin ist seit März in Leipzig zu haben. 'Leo‘ heißt es, kostet vier Ost-Mark und bietet vorerst 48 zwar spröde reizlos layoutete Seiten, die aber bereits gefüllt sind mit den typischen Inhalten und Bestandteilen einer bundesdeutschen Stadtillustrierten. Die Erstauflage des nach dem Leipziger Wappentier benannten Periodikums betrug 40.000 Exemplare. 'Leo‘ allerdings ist kein Westimport, sondern wurde in Leipzig initiiert. Die künftigen VerlegerInnen hatten sich zuvor unter westdeutschen Stadtmagazinen genau umgesehen. Dabei stießen sie auf das 'Stadtblatt Münster‘, ein aus der Alternativbewegung stammendes, inzwischen längst professionalisiertes, aber nach wie vor selbstverwaltetes Magazin mit überdurchschnittlichem inhaltlichem Anspruch. Die Leipziger und Münsteraner taten sich mit dem Kasseler 'Hier + Jetzt‘ als drittem im Bunde zu einem deutsch -deutschen Joint-venture zusammen - und seither ist in Leipzig der Löwe los.

Von der allgemeinen Goldgräberstimmung allerdings spürt Hucky Herzig vom 'Stadtblatt‘ noch wenig. Denn lukrativ wird 'Leo‘ erst, wenn durch Anzeigenschaltung aus dem Westen D -Mark-Einnahmen zu verbuchen sind. Dies ist bislang nur im geringen Maß der Fall. Wenn, wie bei der zweiten Ausgabe geschehen, in der Bundesrepublik Deutschland gedruckt werden muß, entstehen zunächst beträchtliche Kosten, die nicht durch entsprechende Einnahmen aufgefangen werden. Darum soll künftig möglichst wieder in der DDR gedruckt werden, wo immerhin Vertriebseinnahmen zur Verfügung stehen. Denn: „Wenn das nicht klappt“, so Herzig, „und die Werbesituation würde so bleiben, dann könnten wir es nicht allzu lange aushalten, sprich vorfinanzieren.“ Dennoch sind die Münsteraner optimistisch. Das 'Stadtblatt‘ wie auch 'Hier + Jetzt‘ sind Mitglieder von „ad eins“, einer für die Eigenwerbung überregionalen Anzeigenkombination, ohne die Stadtmagazine heutzutage kaum noch unter wirtschaftlich akzeptabelen Bedingungen zu führen wären. Über „ad eins“ konnten bereits erste Werbeanzeigen für 'Leo‘ akquiriert werden. Die beiden westlichen Partner machen darüber hinaus keinen Hehl aus der Tatsache, daß auch sie von 'Leo‘ profitieren, rücken sie doch mit der vergleichsweise hohen Auflage der Leipziger Magazins auf in die „Grund-Kombi“ der Metropolenmagazine, die bei der Verteilung überregionaler Anzeigen meist besser abschneiden als die Blätter aus kleinen oder mittleren Städten. Für wie interessant „ad eins“ den DDR-Markt hält, zeigt die Tatsache, daß 'Leo' -Verleger bereits gefagt wurden, ob sie für weitere DDR -Magazin zur Verfügung stünden, was aber so Herzig, arbeitsmäßig gar nicht zu leisten wäre.

Bislang sind die Münsteraner und Kasseler mit 'Leo‘ ausreichend beschäftigt. Zwar werden Artikel und Konzept in Leipzig erstellt, die Beiträge dort in einem (West)-PC erfaßt. Dann aber packen die ostdeutschen Redakteure ihre Disketten und reisen gen Westen, wo die technische Ausstattung besser und das Knowhow größer ist. Hucky Herzig: „Die Nummer zwei von 'Leo‘ haben wir hier layoutet, parallel zum 'Stadtblatt‘. Das hat Tag- und Nachtschicht bedeutet.“

Herzig und seine TeamgefärtInnen hoffen darauf, bis zum Markteintritt etwaiger MitbewerberInnen sowohl für eventuelle Werbemaßnahmen einzusetzende Rücklagen als auch einen gewissen Vertrauensbonus der LeserInnen erzielen zu können.

Die Konkurrenz schläft nicht. Werner Marcinowski aus der Bochumer 'Prinz'-Zentrale ist ebenfalls schon von LeipzigerInnen angesprochen worden, die dort einen 'Prinz' -Ableger etablieren möchten. Konkrete Pläne gibt es beim inzwischen in zehn bundesdeutschen Großstädten vertretenen Magazin-Multi noch nicht, aber, so Marcinowski: „'Prinz‘ ist so angelegt, daß wir gar nicht umhin können, auch in der DDR in den großen Städten 'Prinz‘ zu machen.“

Zunächst werkeln alle verfügbaren Kräfte noch an der Berliner Ausgabe, die „unser Meisterstück“ werden soll. „Wenn wir das geschafft haben, dann werden wir uns wahrscheinlich erstmal zurücklehnen. Vielleicht kommen wir dann auch dahin, konkreter über die DDR nachzudenken.“ Auf jeden Fall soll auch ein angeblich bislang nicht einmal projektiertes DDR-Engagement nach dem 'Prinz'-„Basisrezept“ erfolgen: „Das besagt, die Zeitschrift muß immer aus der Stadt für die Stadt gedacht und deshalb in der Stadt gemacht werden. Ich glaube, daß das auch in der DDR funktionieren wird.“

Harald Keller