Die Hexe kam beim Zähneputzen

Bochum spielt so gut wie selten und verliert trotzdem in Leverkusen / Jorginhos falsche Drehung mit der Bürste  ■  Ausm Haberland Ernst Thoman

Fußballer, kommst du nach Leverkusen, du findest das Tor genau in der Mitte zwischen Kronos Titan und Aspirin plus. Für die blauen Jungs aus Bochum kommt der Tip mit den richtungsweisenden Werbetafeln zu spät. Ganz sicher in dieser Spielzeit, vielleicht für länger. Der VfL Bochum, diese ewig graue Maus der Liga, liegt nach der 1:2 Niederlage bei Bayer Leverkusen mitten im Keller. Dabei lag der Griff nach dem Käse so nah. Da spielte eine Rumpfelf mit Köpfchen, aber dicht vor dem Aluminium sackte das Blei in die Beine.

Niemand der 14.000 Werksangehörigen hätte es für möglich gehalten, daß die Kolonie aus dem Kohlenpott putzmunter die Chemie ausdem Haberland-Stadion verrührt. Schließlich wiegte bereits ganz zu Anfang ein Jungprofi namens Marcus Feinbier die Besucher in die frühlingswarme Wohlgefälligkeit. Nach nur vier Minuten lag sich die Werksfamilie in den Armen.

Martin Kree, ein Ex-Bochumer mit Wohnsitz daselbst, nahm dem Betriebswirt Jupp Nehl den Ball ab und paßte lang auf das einzige Eigengewächs des Konzerns. U-21-Nationalspieler Knut Reinhardt sprintete ausgelassen an die Eckfahne. Ganz so, als habe es am Mittwoch keine 120 Minuten Verlängerungsfußball gegen die Sowjetunion gegeben. Bei der genauen Hereingabe stand dem tragischen Helden in Bochums Kasten, Andreas Wessels, die Sonne im Gesicht.

Feinbier besorgte die programmierte Führung und Bochum fightete. Die Elf der Namenslosen, deren Ligareife noch nach 19 Jahren Zugehörigkeit beharrlich bezweifelt wird, löste plötzlich ein munter offensives Treiben aus. Nach einem Warnschuß des Amateurs Michael Hubner gegen den UEFA -Pokalsieger Pierre de Keyser blieb dem routinierten Bayer -Stopper bei seinem zweiten Klärungsversuch nur die unerlaubte Bremse in die Hacken des durchstartenden „alten Bombers“ Uwe Wegmann (Wohnort Sonthofen). Den Foulelfmeter verwandelte Michael Rzehaczek, zur Vermeidung von Zungenbrechern kurz „Ratschi“ gerufen, zum Ausgleich.

Und siehe da, ein langes und verwundertes Augenreiben folgte. Eine Klasseneinteilung in oben und unten war nicht auszumachen. Zwei Teams, die sonst den Erfolg aus der defensiven Vorsicht suchen, nahmen keine Rücksichten auf taktische Schablonen. Der im verstaubten Archiv gewähnte Offensivfußball tobte vor beiden Toren. Nicht nur die Trainer hatten „ein riesen Fußballspiel“ mit zahllosen Strafraumszenen und Torchancen gesehen. Bochum hatte serienweise die Überraschung auf Kopf und Beinen liegen, doch deren Coach Reinhard Saftig befand am Ende traurig: „Wir stehen wieder mit leeren Händen da.“

Ausgerechnet ein zwölfter Bochumer besorgte das Unglück. Nach einer guten Stunde staubte Martin Kree einen Buncol -Freistoß ab, bei dem sich der arme Wessels im Tor furchtbar vergriffen hatte. Sofort im Gegenzug kratzte wieder Kree einen „Hundertprozenter“ von „Ratschi“ von der Linie.

„Du hättest ihn wirklich daneben schießen können“, brummelten die Bochumer Spielerkollegen den Renegaten im Kabinengang an. Doch Kree, der mit seinen alten Kumpels wöchentlich mehrmals in Bochumer Cafes fachsimpelt, parlierte ganz profihaft: „Meine Tore sind mir gegen den VfL Bochum genauso lieb.“ Und zu den spielerischen Schwierigkeiten des aktuellen Vizemeisters gegen die unverdient geschlagenen Bochumer bemerkte er: „Die Bayern machen in der Saison mindestens zwölf solcher Zitterspiele, wir haben heute einmal Glück gehabt.“

Bayer-Trainer Jürgen Gelsdorf indes will von einer meisterlichen Konkurrrenz gegenüber den Münchnern immer noch nichts wissen. Zumal der FC Bayern beim „Endspiel“ in vier Wochen ein Heimspiel in Leverkusen erwarten kann. Republikweit kaufen Busunternehmer die Kartenkontingente auf. Leverkusens umtriebiger Manager Calmund: „Wenn unser Stammpublikum sich nicht sofort Tickets besorgt - wir halten keine zurück.“

Doch Leverkusen bleibt gleichwohl der einzig ernsthafte Konkurrent. Ohne die drei Säulen Schreier (Bänderriß), Lesniak (viermal gelb) und Jorginho angetreten lobte Gelsdorf: „Kompliment, daß meine Jungs trotzdem solch ein Spiel hinlegten.“ Dabei überraschte vor allem das Fehlen des brasilianischen Nationalkapitäns: „Jorginho hat sich am Mittwoch bei Länderspiel gegen England eine Rückenverletzung zugezogen. Aber wir gingen davon aus, daß er spielen wird.“ Doch am Samstag früh beim Zähneputzen im Hotel wurde der wohl perfekteste Mittelfeldspieler der Bundesliga von einem Hexenschuß heimgesucht.

„Eine falsche Drehung mit der Bürste“, wie Gelsdorf meinte. Beim VfL Bochum konnte niemand lachen.

Leverkusen: Vollborn - Hörster - Kree, Alois Reinhardt Fischer, Feinbier, Buncol, de Keyser, Knut Reinhardt - Thom (87. Herrlich), Demandt (82. Seckler)

Bochum: Wessels - Kempe - Oswald, Dressel - Nehl, Rzehaczek, Benatelli (73. Kohn), Wegmann, Legat - Leifeld, Hubner

Zuschauer: 14.000

Tore: 1:0 Feinbier (4.), 1:1 Rzehaczek (14./Foulelfmeter), 2:1 Kreee (61.)