„Ein Heer von Zuträgern und Denunzianten“

AL und Grüne mobilisierten auf einem zweitägigen Kongreß in Berlin gegen das geplante Ausländergesetz / Beschäftigte im öffentlichen Dienst sollen zukünftig ImmigrantInnen und Flüchtlinge bei Gesetzes- und Regelverstößen bei den Ausländerbehörden verpfeifen  ■  Von Andrea Böhm

Berlin (taz) - Am Kongreßort roch es nach deutsch-nationalem Muff, die TeilnehmerInnen - Deutsche und Nicht-Deutsche aus Ost und West, schreckte das keineswegs. Grüne und AL hatten auf einem zweitägigen Kongreß im Berliner Reichstagsgebäude mobilisiert, was bislang gegen den Entwurf für ein neues Ausländergesetz opponiert hat. Rund 250 JuristInnen, ExpertInnen, JournalistInnen waren der Einladung gefolgt.

Auch einer, der gerne ein bißchen Kontroverse in die Debatte gebracht hätte, sah sich gezwungen, „voll und ganz in den Chor der Kritiker einzustimmen“. Fritz Franz, Richter im Ruhestand, prägte das Bild der deutschen Tischordnung der neunziger Jahre, die ImmigrantInnen nur auf den Schleudersitzen am unteren Ende Platz nehmen läßt. „Wer sich nicht entsprechend benimmt, fliegt raus.“

Am Beispiel des Ausweisungsgrundes Obdachlosigkeit demonstrierte der Jurist den Kontrollwahn des Staates gegenüber seinen nichtdeutschen BürgerInnen. Denn relativ sicher darf sich nur fühlen, wer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung hat. Die allerdings bekommt nur, wer „ausreichenden Wohnraum“ nachweisen kann. Was ausreichend ist und was nicht, klärt im Ernstfall die Wohnungsaufsicht mit dem Zollstock. In München, zum Beispiel, muß eine fünfköpfige ausländische Familie bis zu 105 Quadratmeter Wohnraum nachweisen angesichts des Wohnungsmarktes ein Ding der Unmöglichkeit. Wird die Wohnung für nicht „ausreichend“ befunden, drohen ihr Kündigung und Obdachlosigkeit. Meldet sich die Familie dann beim Sozialamt, ist der Mitarbeiter nicht etwa verpflichtet, den Leuten ein Dach über dem Kopf zu beschaffen, sondern der Ausländerbehörde Mitteilung zu machen - denn Obdachlosigkeit ist ein Ausweisungsgrund.

„Totalen Überwachungswahn“ diagnostizierte der Hamburger Jurist und Herausgeber des „Informationsbriefs zum Ausländerrecht“, Gerhard Strate, bei den Verfassern des Gesetzentwurfs. Strate verdeutlichte drastisch die Auswirkungen eines Paragraphen, der in der Diskussion bislang vernachlässigt worden war: Laut Gesetzentwurf sollen in Zukunft MitarbeiterInnen „öffentlicher Stellen“ verpflichtet sein, mögliche Gesetzes- und Regelverstöße von ImmigrantInnen und Flüchtlingen der Ausländerbehörde zu melden. Per Gesetzesbefehl - so Strate - solle der gesamte öffentliche Dienst in ein „Heer von Zuträgern und Denunzianten“ umgewandelt werden. „Das ist eine innerstaatliche Feinderklärung an alle hier lebenden Ausländer.“

Zu prophylaktischen Maßnahmen haben bereits MitarbeiterInnen „öffentlicher Stellen“ in Hamburg gegriffen. Geplant sind Selbstbezichtigungsaktionen. Das Lehrerkollegium einer Schule hat in einem Brief an Bundestagsabgeordnete angekündigt, jegliche Auskunft über nichtdeutsche SchülerInnen an die Ausländerbehörden zu verweigern.

Insgeheim war den meisten KongreßteilnehmerInnen klar, daß die Verabschiedung des Schäuble-Entwurfs im Mai - noch vor den Niedersachsenwahlen - nicht mehr zu verhindern ist. Gegenteilige Beteuerungen dienten denn eher der Hebung der eigenen Moral und als Kritik an die Adresse der SPD, die trotz verbaler Proteste keine Anstrengungen erkennen läßt, das Gesetz noch zu verhindern. Die SPD-Mehrheit im Innenausschuß des Bundesrates könnte zumindest durch eine sorgfältigere Beratung eine Verzögerung erreichen - wenn sie es wollte. Auch die Aufforderung an den Bundespräsidenten, sich für einen Stopp des gesetzgeberischen Eilverfahrens einzusetzen, war eher symbolischer Art. Konkret wurde dagegen die Möglichkeit erörtert, gegen das gesetzgeberische Eilverfahren eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen.