Ausbrechen aus den Denk-Gefängnissen

Der Bundesvorstandssprecher der Grünen, Ralf Fücks, zu den Ursachen der Niederlage von „Aufbruch“ und Realos  ■ I N T E R V I E W

taz: Der Parteitag hat einer Zusammenarbeit mit der PDS mit großer Mehrheit eine klare Absage erteilt - genau nach Wunsch also für euch. Und dennoch war es eine Niederlage.

Ralf Fücks: Der Kern der Debatte war gar nicht die Zusammenarbeit mit der PDS, sondern das Selbstverständnis der Grünen: ob wir uns gesamtdeutsch auf ein linksalternatives Bündnis orientieren, oder ob wir uns dazu durchringen, die eigene Identität als radikale ökologische Partei abzunabeln vom sozialistischen Projekt. Und eben das haben wir nicht geschafft.

Damit bestätigst du das, was die Linken bei den Grünen immer gesagt haben: Die PDS ist der Pappkamerad für die Ausgrenzung der Linken.

Für eine Minderheit war und ist die PDS eine strategische Option auf ein gesamtdeutsches Links-Bündnis. Die Grünen dürfen sich aber nicht mehr ketten an die sozialistische Tradition. Wir drängen nicht die ökologische Linke aus der Partei, sondern wir appellieren an sie, sich mit uns auf die Reise zu begeben, bei der eine neue politische Identität herauskommt, die querliegt zu den herkömmlichen politischen Traditionen.

Offenbar fürchten aber die Delegierten, daß ihr damit ein Drittel ausgrenzt.

Es ist absurd, zu sagen, ein Drittel der Partei würde gehen, wenn wir uns zum Primat der Ökologie durchringen. Wir wollen Ökologie und Menschenrechte als Achse einer kapitalismuskritischen grünen Politik. Den Grünen zu drohen, wenn ihr euch vom Sozialismus verabschiedet, dann werdet ihr zu einer grünen FDP - dieses alte Spielchen der Linken funktioniert nicht mehr.

Habt ihr nicht auf Spaltung hingearbeitet?

Nein. Es ist nicht unser Ziel, die Partei in selbstmörderischer Weise mittendurch zu spalten. Vielleicht werden manche gehen, die radikal nicht anders als sozialistisch definieren können und sich weigern, in einen Prozeß der Selbstveränderung zu treten. Wer sich aber eingelassen hat auf die Themen, die die Grünen erstmals in die politische Landschaft hineingetragen haben, der kann sich gar nicht außerhalb der Grünen organisieren.

Die Linke wirft euch vor, ihr würdet auch die Ökologie als Kampfbegriff zur Säuberung der Partei benutzen.

Wir haben uns über Jahre selbst gelähmt in falschen Alternativen: sind wir Reformpartei oder Partei mit revolutionären Zielen, Partei der Utopien oder des pragmatischen Handelns, Minderheitenpartei oder zielen wir auf politische Mehrheiten? Das sind Gefängnisse des Denkens. Wir müssen unsere Utopien nicht mehr in die Ideologien des 19.Jahrhunderts gießen. Der alte Systemgegensatz ist historisch ebenso erledigt wie das alte Politikverständnis. Grüne Politik ist eine Politik ohne Hauptfeind, ohne strategisches Patentrezept. Das erfordert ein hohes Maß an politischem Selbstbewußtsein, damit nicht jeder Schritt in das wirkliche Leben als Verrat denunziert wird. Da aber droht die alte linke Falle: zu glauben, man sei nur gut in der Rolle des romantischen Verlierers.

Ihr habt hier zweimal verloren...

Ich bin mir nach wie vor sicher, daß es eine Mehrheit für unsere Botschaft gibt. Aber es gibt gleichzeitig eine panische Angst davor, die alte Flügelparität aufzulösen und inhaltliche Entscheidungen mit Machtentscheidungen zu verbinden. Die Partei hat erneut den Ausweg in die goldene Mitte versucht. Und dabei ist das alte Programm herausgekommen: allen wohl und keinem weh. Ich habe so meine Zweifel, ob wir uns mit dieser Methode weiter durchwursteln können, während sich das gesamte politische Umfeld rapide wandelt.

Die Mehrheit wollte nicht ganz auf sozialistische Ideale verzichten...

Das haben wir unterschätzt. Wir haben die Illusion gehabt, wir könnten in einem ersten Anlauf das Selbstverständnis der Partei neu definieren. Aber das ist wohl ein längerer Prozeß, zu dem auch Niederlagen gehören. Es fehlt offenbar das Vertrauen, daß das Primat der Ökologie nicht den Abschied von kapitalismuskritischen und radikalen Grundpositionen bedeutet. Eine Mehrheit hat auch geglaubt, wir wollten jetzt auf ganzer Linie siegen. Und das duldet die Partei nicht.