Stolze Sozial-Sonderforschung

■ Ca. 80 Uni-Menschen werden von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ gefördert, um moderne Lebensläufe zu untersuchen

Forschung unter Bedingungen, wie sie die Sozialwissenschaftlerin von heute liebt: langjährige finanzielle Absicherung und soviel PCs, wie das Herz begehrt; großzügige, helle Räumlichkeiten und internationales Renomee, Frauenforschung selbstverständlich inbegriffen. Dies alles bekommt geboten, wer an der Universität Bremen im „Sonderforschungsbereich 186“ sitzt. Gefördert von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG), macht das Projekt Bremer SozialwissenschaftlerInnen gleich aus mehreren Gründen stolz. Erstens gibt es im ganzen Bundesgebiet zwar 160 Sonderforschungsbereiche, aber nur vier sozialwissenschaftlich ausgerichtete. Und zweitens gab es an der Bremer Uni bis dato überhaupt keinen solchen Sonderforschungsbereich. Auf 12 bis 15 Jahre ist die Förderung angelegt, alle drei Jahre allerdings wird neu begutachtet und nachbewilligt, so daß unter „hohem Außendruck“ geforscht werden muß. Mit 1,6 Millionen Mark ist die DFG dabei, 1,2 Millionen schießt das Land Bremen zu. Samt studentischen Hilfskräften sind 80 Leute beschäftigt. Darunter inklusive der acht ProfessorInnen ein wissenschaftliches Personal, das zu 50 Prozent aus Frauen besteht.

„Statuspassagen und Risikolagen im Lebenslauf“ heißt der For

schungs-Obertitel, der allerdings im Kopf von LaiInnen etliche rote Fragelämpchen aufblinken läßt.

Professor Walter R. Heinz erklärte sich nach einigem Sträuben bereit, den PressevertreterInnen die wissenschaftlichen Begriffe ins Umgangsdeutsch zu übersetzen, obwohl er eigentlich findet, ZeitungsleserInnen sollten sich an Begriffe wie „Statuspassage“ gewöhnen: der Terminus meine den Übergang von einer Lebensphase in die nächste: Kindheit - Jugend, Schulabschluß Berufsausbildung, Beruf - Mutterschaft oder umgekehrt, Berufstätigkeit - Verrentung. Prof. Heinz: „Seit Mitte der 70er Jahre sind die Lebensperspektiven immer weniger vorhersagbar, immer unsicherer geworden.“ Das Zurechtfinden habe man sich zum Thema gemacht. Der Rückzug auf Familie und Nachbarschaft sei nicht mehr selbstverständlich gegeben. Heinz: „Man muß sich alles erarbeiten. Man kann sich nicht mehr in ein Netzwerk legen.“ Eine andere Hypothese, so Prof. Heinz, besage, daß sich weniger die Lebensführung geändert habe, als die Ideologie: „Man macht sich nicht mehr soviel vor.“

11 Projekte sind im Sonderforschungsbereich unter einem Dach. Einige Kostpoben: Das erste Projekt (Martin Osterland u.a.) erforscht, inwieweit der öf

fentliche Arbeitgeber durch Zeitverträge, Teilzeitarbeit und Privatisierung dazu beiträgt, daß der gesicherte Normalerwerbs-Lebensverlauf immer seltener wird.

Projekt zwei (Stephan Leibfried u.a.) wertet tausende Bremer Sozialhilfeakten aus, um herauszufinden, wie es Empfängern gelingt, „trotz schlechter Prognose, der Sozialhilfeabhängigkeit zu entkommen“, die Bruchstelle im Lebenslauf zu überwinden.

Projekt sieben (Birgit Geissler u.a.) untersucht mittels mehrstündiger Intensivinterviews mit jüngeren Frauen, wie sie ihr Leben gestalten „im Übergang in das Erwerbssystem und zugleich in die Partnerbeziehung und Familiengründung“.

Projekt acht (Helga Krüger u.a.) will von Frauen, die einst mit einer Berufsausbildung ins Erwerbsleben traten und heute im Rentenalter stehen, erfahren, wie sie zwischen Beruf und Familie hin- und hergependelt sind.

Im Sommer 1991 sollen Ergebnisse der ersten Forschungsrunde vorliegen. Gerade nach dem Besuch der Frauenwoche „Frauen und Fremde“ fragt sich die Reporterin jedoch, warum es innerhalb der 12 bis 15 Forschungsjahre nicht beabsichtigt ist, wenigstens ein Projekt nicht zu BRD- und DDR -Lebensläufen, sondern zur Lebensgestaltung der

nicht-deutschen ZuwanderInnen zu machen.

Prof. Heinz erklärte, ihm sei das Manko bewußt, doch gebe es

leider in Bremen wenig qualifizierte ausländische SozialwissenschaftlerInnen. Die türkisch-berlinerische Doktorandin Gülay

Toksöz lachte ob dieser Antwort: „Die sollten eine Stelle ausschreiben. Dann würden sie sich wundern.“

Barbara Debus