DEUTSCH-SOWJETISCHER HERZSCHLAG

■ Fotografien von Anatoliy Shdanow und Harald Hauswald im Kulturhaus in Potsdam

Jeder zweite Herzschlag unseres Lebens sei Kultur, zitieren metallene Lettern Hans Marchwitza hinter dem steilbestuften Eingang des nach ihm benannten Kulturhauses am alten Markt in Potsdam. Und führen als Leitspruch zur gemeinsamen Ausstellung der beiden Fotografen Anatoliy Shdanow und Harald Hauswald ins Foyer des ersten Stocks.

Geschichte wird neuerdings wieder gemacht, ohne Atempause, der Unkerei einiger Intellektueller zum Trotz, die noch Anfang letzten Jahres den künftigen Geschichtsbüchern langweilige Kapitel über den Jahrzehntwechsel voraussagten. Shdanow und Hauswald wußten es besser und lichteten ab, was sich zu ändern begann, damit der zweite Herzschlag nicht fehlte. Die neue Bilderreihe des 1954 bei Dresden geborenen gelernten Fotografen Hauswald zeigt die Akteure des letzten DDR-Sommers: versammelte FDJlerInnen, Friedensbewegte, Punks und Autonome und, mittendrin, Väter mit Söhnen bei der organisierten Simulation zünftigen Wildwestlebens.

Nach seinem Umzug nach Berlin arbeitete Hauswald als Techniker, Telegrammbote, Heizer und Restaurator, als Fotolaborant am Deutschen Theater und in einer „Dienstleistungseinrichtung für Paßbilder“, bevor er 1981 einen Teilarbeitsvertrag als Fotograf in einer kirchlichen Stiftung unterschrieb. Solch christliche Umgebung bot Gelegenheit für gutgelaunte Schnappschüsse aus der Szene. Ein Scheinwerfer zeichnet an das Kirchenschiff den Schatten eines Musikers, der auf der Kanzel rockt - da tanzt der Teufel leibhaftig mit Gitarre auf den geweihten Mauern. Vor christlichen Sprüchen in sauber gepinselter Aufbauschrift küssen sich Kahlrasierte. Dann dürfen die Exoten sich selber vor dem Objektiv aufbauen. Unter gebleichten Strähnen grinst es den Betrachtenden entgegen.

Der junge Mann unter kunstvoll rasiertem Haar mit Irokese lächelt verschmitzt und weise herüber. Er weiß wohl, was Leben heißt - ist beweglich, selbstbewußt und jung. Idealist ist er garantiert, für eine bessere Welt und entschlossen zum Spaß, wenn's denn sein muß, auch zu Randale. Einfach glaubwürdig. Die kontrastierende Hängung wäre also nicht nötig gewesen: Im gleichen Rahmen über dem Punk ist eine FDJ -Gruppe uniformiert auf klotziger Architektur aufmarschiert. Etwas abgesondert von der Gruppe steht ein einzelner, die Hände in den Hüften gestemmt und den Blick aus dem Bild hinaus gerichtet, unzufrieden, zumindest skeptisch, aber einen richtigen Ausbruch wagt er nicht.

Ganz böse werden die Bilder Hauswalds, wenn sich FDJlerInnen auf Bänken zusammenfinden, um bei irgend etwas zuzuschauen, es mag ein Wettkampf oder ein Konzert gewesen sein. Stumpf muß der Blick schon in früher Jugend gewesen sein, jetzt sitzt er blöde im aufgedunsenen Gesicht: „Was'n los hier?“ Mit solchem Blick Sozialismus zu gestalten, das hätte ohnehin nicht geklappt, da hat die Pädagogik auf ganzer Linie versagt. Und freundlich lächelt daneben die Sub - Protestkultur als Antwort auf den Herzschlag des offiziellen Lebens. So geht es weiter. Müde, enttäuschte alte Menschen gegenüber jungen fröhlichen; Uniformen gegenüber licht gewänderten Osterengeln in Jesuslatschen vor Flußlandschaft mit großem Winkelement. Wofür Hauswalds Herz schlägt, ist klar.

Auch der Fotokorrespondent der Zeitung 'Sowjetskaja Armia‘, Anatoliy Alexandrowitsch Shdanow, stellt gegenüber. Doch in seinen Rahmen mildert gerade das Pathos die Kontraste, schwarzweiß sind ja schon die Fotos. Im Rahmen oben: Von der Kamera abgewandt das Halbprofil eines Punks mit vorbildlichem Hahnenkamm. Die Abendsonne bestrahlt die kahlen Flächen seines Kopfes und versteinert den Rest der Büste zu einem dunklen Monument. Von der anderen Seite neigt sich eine Kirchturmspitze den steilen Haarsträhnen entgegen. Einsamer junger Mann mit rebellischer Stirn... Wer weiß, was der junge Soldat unter ihm denkt? Das Regenwasser rinnt ihm vom Armeekäppchen über die abstehenden Ohren, und nachdenklich schauen die dunklen Augen über die Hand, die gerade über den Mundwinkel sich geschoben hat. Die Last der Welt tragen beide Männer auf ihren Schultern.

Das 26 Jahre junge Mitglied des Journalistenverbandes der UdSSR ist weitgereist, war in Frankreich und Spanien, in Italien und Belgien, den Niederlanden, in Hongkong und „in anderen Ländern“. Wo seine Aufnahmen entstanden, läßt sich nicht immer aus dem Abgebildeten erschließen, nur manchmal vermuten, wenn in einer Ecke des Fotos ein Stück Litfaßsäule mit deutschen Wörtern auftaucht oder ein großes Auto mit dem Kennzeichen PE-T weitwinkelverzerrt vor einer Reihe arg vernachlässigter Häuser steht - West-Besuch in der DDR?

Statt einen Standort genau zu bestimmen, erzeugen Shdanows Bilder Stimmungen, wie sie entstehen könnten, wenn Filme der Nouvelle vague oder des Neo-Realismus unvermittelt angehalten würden. Eine junge Frau dreht sich auf der Straße erschrocken um; ein Mann sitzt vor gleißend hell besonnter Mauer im Rollstuhl - die Normaluhr neben ihm zeigt 15 Uhr 50 und wirft lange Schatten. Schließlich mischt sich noch die verregnete Melancholie aus Tarkowski-Filmen ein: Spaziergänger verkriechen sich mit ihren Regenschirmen unter tropfende Bäume. Keine der Szenen wirkt wie schnappgeschossen. Licht und Schatten ergänzen sich in den starken Kontrasten perfekt, als ob Shdanow lange für jede Einstellung geprobt hätte.

Zwischen den unbestimmt internationalen Fotos tauchen immer wieder Soldaten der sowjetischen Armee auf, die Mütze schwenkend auf einem Panzertransport oder in der Kaserne, im Arrest. Shdanow war drei Jahre lang Soldat an der iranischen Grenze. Festgehalten hat er keine starken Nachfahren ruhmreicher Helden, die einst die Faschisten vertrieben, sondern unfertige Jungs, die noch lauter Fragen haben, vor allem nach dem Wohin und Wieso, wenn sie zum Appell verletzlich, mit bloßen Füßen vor die Zellentüren treten, die schweren Stiefel neben sich. Im Gang des Kulturhauses treffen Shdanows Männer auf Hauswalds aufreizend einfach zu begreifende Jugend. Ob sie sich verstehen würden, wenn sie sich wirklich begegneten, läßt sich nicht sagen. Den Fotos Glauben geschenkt, ließe sich aber weiter hoffen auf eine bessere Welt, irgendwann, vielleicht mit ein paar stolzen RebellInnen mehr.

Claudia Wahjudi

Ausstellung Harald Hauswald und Anatoliy Shdanow, Kulturhaus „Hans Marchwitza“, Am Alten Markt, Potsdam, bis 29.4., Di-So 10-18 Uhr