Baresi, Libero an und für sich

Italien probt gegen die Schweiz für den Ernstfall WM: perfektes Versteckspiel  ■  Aus Basel Jürgen Theobaldy

Ein ganz gewöhnliches Freundschaftsspiel war es nicht. Für die Squadra azzurra ging es um den letzten Test vor der Weltmeisterschaft, für die Eidgenossen immerhin um ein Jubiläum, das 500. Länderspiel nach der 1:0-Niederlage 1905 gegen Frankreich in Paris, für die die 'Neue Zürcher Zeitung‘ damals drei, vier Zeilen übrig hatte.

Die goldenen Tage des Schweizerischen Fußballs liegen dazwischen, mit Höhepunkten in den dreißiger Jahren (wie dem 4:2-Sieg gegen Großdeutschland 1938 in Paris) sowie den fünfziger Jahren, mit zwei Siegen über Italien, denen die kuriose 5:7-Niederlage 1954 im Viertelfinale gegen Österreich folgte. 3:0 hatte man geführt, ehe Goalie Parlier als Opfer eines Hitzschlags nicht mehr wußte, zwischen welchen Pfosten er stand, geschweige denn, daß er dieses seltsame runde Leder am Übertritt über die weiße Linie zu hindern hatte - und auswechseln durfte man ja noch nicht.

Den jetzigen Zustand des eidgenössischen Fußballs kennzeichnet der Stoßseufzer von Nationalcoach Uli Stielike am Vorabend des Treffens: „Ich hoffe, daß es auch ein paar Schweizer im Stadion hat...“ Die hatte es; allerdings waren unter den 25.000 Zuschauern im Basler „Joggeli“ die italienischen Fans in der Überzahl - oder die lautere Hälfte. Das reicht für ein 1:0, auf das die Italiener bis zur 69. Minute warten mußten.

Ein Freistoß von de Agostini, präzise durch die Lücke lanciert, die die Mauer dem Zuständigkeitsbereich von Goalie Brunner überantwortet hatte, traf im unteren rechten Toreck ein. Erzwungen hatte diesen haltbaren Treffer Salvatore Schillaci, genannt Toto, seit einer Saison Torjäger von Juventus Turin. Der kleine Sizilianer, der äußerlich an die Helden des Neorealismus erinnert, zeigte sich in seinem ersten Länderspiel als gerissener, wieselflinker Stürmer, der den Verlauf der WM in Italien (mit)bestimmen dürfte.

Interessant ist auch Zenga von Inter Mailand im Tor: Wie aus Asiens unergründlichen Tiefen entsprungen, nimmt er mit der Ausdrucksvielfalt eines Pokerspielers die Bälle im Strafraum an sich. Dann ist da noch (außer dem Libero an und für sich: Baresi), der mal auf der rechten, mal auf der linken Seite nach vorne gleitende Donadoni vom AC Milan: in seiner intelligenten, schnörkellos eleganten Manier ein ausgesprochen gebildeter Fußballer.

Giannini ist ein Name, der sich von selbst merkt, und ansonsten spielte die Squadra azzurra ganz so, wie man es von ihr erwarten durfte: meisterhaft - im Verstecken der eigenen Qualitäten. Der knappste aller Siege reichte ihr auch, um das seit dreieinhalb Spielen torlose Interregnum zu beenden.

Daß ihr dies gelungen ist, spricht nicht gegen die Leistung der jungen Schweizer, die gelegentlich als Nachwuchsmannschaft betrachtet wurden. Uli Stielike, in Halbzeitinterviews gewandt auf deutsch und französisch parlierend, hat ihnen einiges abverlangt, eine raumdeckende Abwehr, die rasch und auf einer Linie aufschließen, auch Risiken eingehen sollte, ein flexibles und variantenstarkes Mittelfeld um den jungen Sutter und den alten Altinternationalen Hermann. In Zürich, wo man die Aufmerksamkeit Stielikes für Spieler aus der Romandie und dem Tessin beargwöhnt, hat man denn auch gebangt, ob die Mannschaft damit nicht überfordert sei.

Nun, eine Halbzeit lang spielte sie mehr als nur mit, sie hatte sogar die klareren Chancen. In der zweiten Hälfte, als die Italiener aufs Tempo drückten, häuften sich denn die Fehler beim Abspiel auf engem Raum; Konzentrationsschwächen wurden offenbar, die ein WM-Favorit nicht ungenutzt durchgehen läßt, auch wenn er weitgehend nicht wie ein Favorit auftrumpft - das macht Italien mit seinem ausgeprägt pragmatischen Verhältnis zum Erfolg in solchen Vorbereitungsspielen nie.

Für die Schweizer eine ehrenvolle Niederlage mehr oder endlich erstes positives Ergebnis der monatelangen Experimente? Schon das Spiel heute in Luzern gegen Rumänien wird darauf eine Antwort geben, ob Stielikes Lob auf Grund gebaut war, oder ob auch dieses Team jene Bravheit und Biederkeit an den Tag legen wird, den schweizerische Kritiker, sei es im Sport, in der Kunst oder der Politik, an den schweizerischen Protagonisten und der übrigen Bevölkerung stets aufs Neue wahrzunehmen glauben.

Schweiz: Brunner, Fischer, Hottiger, Herr, Baumann, Hermann, Koller, Piffauset (80. Chassot), Sutter, Knup, Chapuisat

Italien: Zenga, Baresi, Bergomi (59. Ferrara), Vierchowod, Donadoni, de Napoli, Marrochi, Giannini, Maldini (46. de Agostini), Carnevale (59. Serena), Schillaci