„Für einen sauberen Weg zur Einheit“

Während einer zweitägigen Debatte ehemaliger Regierungschefs in Amsterdam äußerte sich Noch-DDR-Ministerpräsident Hans Modrow über die Zukunft Europas  ■ I N T E R V I E W

taz: Die europäischen Nachbarn äußern verhaltene Kritik an dem deutsch-deutschen Einigungstempo...

Modrow: Die Ängste der Nachbarstaaten vor der Vereinigung werden bei den deutsch-deutschen Verhandlungen relativ wenig diskutiert, da die Bestrebungen der DDR gemäß der Tatsache ihrer immer noch bestehenden Eigenstaatlichkeit auch darauf hinauslaufen, mit der EG und dem Europaparlament eigenständige Beziehungen weiterzuentwickeln. Ich bin für einen sauberen Weg zur deutschen Einheit, der die Identität der DDR-Bürger nicht auslöscht, sondern moralisch fruchtbar werden läßt für ein größeres Vaterland. Das setzt die Einbeziehung der vier Alliierten in diesen Prozeß voraus. Auch Polen sollte in diese Gespräche miteinbezogen werden, soweit dabei die Frage der Westgrenze eine Rolle spielt. Gorbatschow-Berater Sergej Achromejew hat kürzlich die Auffassung geäußert, daß im Hinblick auf die Einheit eine Lösung möglich sei, bei der das vereinigte Deutschland in eine Organisation integriert wird, die weder Gegner der Sowjetunion noch der USA, Frankreichs und Großbritanniens oder anderer europäischer Staaten ist.

In der Nato freut man sich auf den unerhofften Gebietszuwachs...

Die Position, ganz Deutschland in die Nato zu integrieren, kann die Sowjetunion nicht akzeptieren. Gorbatschow-Berater Falin sagt ganz offen, bitte schön, wenn die Nato dieses Konzept vorschlägt, dann werden wir fordern, den Warschauer Vertrag auf ganz Deutschland auszuweiten.

Sie haben sicher mit sowjetischen Vertretern darüber gesprochen: Gibt es irgendwelche Andeutungen, daß sich innerhalb der Nato der Vorschlag durchsetzt, die Rüstungsbündnisse aufzulösen?

Bisher ist davon auf seiten der Nato wenig zu erkennen. Zugleich geht die Sowjetunion davon aus, daß in der Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen „vier plus zwei“ die vier Alliierten dafür den Ausgangspunkt schaffen müssen, denn sie stellen schließlich die entscheidenden Kräfte.

Da ist die UdSSR doch weitgehend alleine. Die USA und Großbritannien haben sich eindeutig für die Ausweitung der Nato ausgesprochen, und Frankreich...

Mitterrand hat dazu doch differenzierte Positionen. Und auch Margaret Thatcher steht dem Problem der Vereinigung so gegenüber, daß sie doch davon ausgeht, daß die europäischen Interessen in einem hohen Maße gewahrt sein müssen.

Wird die neue Regierung noch eine EG-Mitgliedschaft beantragen oder die Vereinigung abwarten?

Hier ist es natürlich ein Vorgriff auf die Haltung, die Herr de Maiziere einzunehmen hat. In der Regierungszeit, die ich zu verantworten hatte, haben wir Bestrebungen entwickelt, unsere Kontakte zur EG eigenstaatlich zu entwickeln. Ob Herr de Maiziere das fortsetzt oder zunächst die Vereinigung anstrebt, das vermag ich im Moment nicht zu sagen. Und ich kann auch nicht sagen, ob Herr Delors und andere diesen Dingen nun auch mit einer abwartenderen Haltung begegnen - was gegen Ende des letzten Jahres und noch zu Beginn 1990 nicht der Fall war. Da gab es ja eine Aufgeschlossenheit für ein eigenständiges Mitwirken der DDR im Rahmen der EG.

Wie erklären Sie den Stimmungsumschwung von Delors und Mitterrand?

Ich kann das nur so verstehen, daß auf der französischen Seite die Einschätzung wuchs, das Tempo zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten werde sich erheblich beschleunigen. Und daß man dann zurückhaltend geworden ist und sich nicht bemüht hat, auf eine Verlangsamung dieses Tempos hinzuwirken.

Was halten Sie von dem Interesse eines Teils der westdeutschen Grünen, bei deutsch-deutschen Wahlen mit Ihrer Partei zusammenzugehen?

Ich verstehe sehr wohl, daß es Bemühungen gibt, die linken Kräfte in der BRD nun mit einer sich erneuernden DKP, mit einer Bewegung, die zum demokratischen Sozialismus zielt, und Teilen der Grünen zusammenzubringen. Man kann aber die Sache nicht mit einer raschen deutschlandweiten Bildung der PDS beginnen, sondern man braucht einen neuen Ansatz, weil der Begriff des demokratischen Sozialismus selber noch seine inhaltliche Ausdeutung braucht. Da müssen wir noch weiterdenken. Und dann erst steht die Frage der Umsetzung durch Parteien und Wahlbündnisse an.

Interview: Michael Bullard