: „Anti-Terrorismus-Gesetze“ streichen
Nach 1984 bringen die Grünen erneut ein Gesetz zur Abschaffung der Paragraphen 129 und 129a in den Bundestag ein / Bei über 96 Prozent der bisher rund 3.000 Ermittlungsverfahren kam es nie zu einer Verurteilung / Grüne: „Uferlose Anwendung und Auslegung“ ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Es gehören keine prophetischen Fähigkeiten zur Voraussage: Den „Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes zur Liberalisierung des politischen Straf- und Verfahrensrechts“, den die Grünen vergangene Woche in den Bundestag eingebracht haben, wird das gleiche unerfreuliche Schicksal ereilen wie seinen Vorläufer aus dem Jahre 1984. Damals verlangten die Parlamentsneulinge schon einmal die Streichung jener „Anti -Terrorismus-Vorschriften“, die die sozialliberale Koalition während und nach dem Deutschen Herbst in eine ganze Reihe von Gesetzeswerken festgeschrieben hat. Doch das Parlament, das Gesetze schon mal binnen weniger Tage über die Bühne bringt, weigerte sich bis zur Bundestagswahl Anfang 1987, die Initiative der Grünen abschließend zu behandeln. Ähnlich erging es auch einem Antrag der SPD, die die von ihr zu verantwortende Anti-Terrorismus-Gesetzgebung wenigstens in Teilen zurücknehmen wollte und auch jetzt noch will.
Am vergangenen Donnerstag kamen die Grünen in die Socken. Es war wohl weniger Opportunismus, der gerade diesen nun erweiterten und aktualisierten Streichungsvorschlag so lange in der Schublade schlummern ließ. Zwar spielten die Konjunkturschwankungen „terroristischer“ Anschlagstätigkeit und die daraus resultierende öffentliche Empörung bei der Wahl des Zeitpunkts eine Rolle; vor allem jedoch lag die jahrelange Verzögerung an internen Fraktions-Querelen, etwa dem Abgang des mit der Angelegenheit befaßten Abgeordneten Thomas Wüppesal, so daß der Entwurf für die gegenwärtige Legislaturperiode nun wieder, sehr wahrscheinlich, zu spät kommt. Christian Busold, heute Mitarbeiter des in den Bundestag nachgerückten „grünen Polizisten“ Manfred Such, will dennoch alles tun, damit der Entwurf mit „Priorität in den Beratungsgang“ gelangt. Verdient hätte er es, obwohl seine Erfolgsaussichten wohl bei Null anzusiedeln sind.
Es ist nicht die altbekannte Hauptforderung nach einer Streichung des Paragraphen 129a („terroristische Vereinigung“, verabschiedet 1976, verschärft 1987) und des Pragraphen 129 („kriminelle Vereinigung“), die das Papier lesenswert macht, sondern die Fleißarbeit, die die bisherige Praxis bei der Anwendung dieser und anderer Staatsschutzregelungen minutiös aufdröselt. Die Grünen können damit statistisch belegen, daß der Paragraph 129a „nicht zur Ahndung schwerer Delikte, sondern praktisch nur zur Ausforschung und Einschüchterung von politisch Verdächtigen dient“. Zwischen 1980 und 1988 leitete Generalbundesanwalt Kurt Rebmann nach Paragraph 129a fast 3.000 Ermittlungsverfahren gegen über 2.400 Beschuldigte ein. Doch nur bei jedem zwanzigsten der Verfahren reichte das von den Ermittlern zusammengetragene Material am Ende für eine Anklage, die wiederum bei ganzen 9 (!) Personen allein auf dem Vorwurf der „terroristischen Vereinigung“ beruhte. Die Anklagequote betrug 5 Prozent (im Gegensatz dazu liegt sie bei der allgemeinen Kriminalität bei 45 Prozent).
Verurteilt wurden nach dem Paragraphen 129a nur knapp 4 Prozent (allgemeine Kriminalität: 40 Prozent) aller Tatverdächtigen. Das Resümee der Grünen: „Über 96 Prozent der Beschuldigten wurden zu Unrecht verfolgt. Ebensoviele Verfahren nach Paragraph 129a wurden umsonst eingeleitet.“
Außerdem betrafen nach den Recherchen der Grünen über 83 Prozent der zwischen 1980 und 1988 eingeleiteten Ermittlungsverfahren nicht den härtesten Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, sondern lediglich den der „Unterstützung“ oder den der „Werbung“ - und zwar in Wort und Schrift. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Werbung oder - um im Jargon zu bleiben - eine „Rekrutierung“ Erfolg hat, oder ob für die RAF oder wen auch immer ein „meßbarer Nutzen“ herausspringt. Es reicht nach Ansicht der Grünen der Versuch, selbst wenn er sich lediglich als schwarzer Stern oder als Buchstabenfolge „RAF“ an einer Hauswand manifestiert.
Der Bundesgerichtshof formulierte, daß eine Strafbarkeit „bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen begründet“ ist. Gerade diese „vage „Tatbestandsformulierung“ ermöglicht nach Auffassung der Grünen die „zu beobachtende uferlose Anwendung und Auslegung“ des Paragraphen 129a durch Bundesanwaltschaft und Rechtsprechung, die seit der ersten Initiative aus dem Jahr 1984 und nach der Verschärfung von 1987 noch erheblich zugenommen habe.
Der Paragraph 129 („kriminelle Vereinigung“), der nach der Verabschiedung des spezielleren Paragraphen 129a im Jahr 1976 (damals „Lex RAF“ genannt) kaum noch angewendet wurde, hatte sich zuvor in seiner langen Geschichte praktisch ausschließlich als Keule gegen soziale oder politisch oppositionelle Organisationen erwiesen. Bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität, für die er angeblich gemacht wurde, spielt er nach den Untersuchungen der Grünen bis heute so gut wie keine Rolle. In den veröffentlichten Rechtsprechungspublikationen der Gerichte fanden sie keinen einzigen Fall, vom Bundesgerichtshof sind 3 (!) Entscheidungen bekannt: Zweimal brachte die Regelung den angeklagten Drogenhändlern erhebliche Vorteile, einmal wurde ein Unternehmen, das illegal Arbeitskräfte vermittelt hatte, freigesprochen. „Offensichtlich“, schlußfolgern die Grünen, sei „die Vorschrift zum Einsatz gegen Wirtschaftsunternehmen oder gemeine Kriminalität dysfunktional“.
Als indirekte Konsequenz aus der Streichung der beiden Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch verlangen die Grünen außerdem den Verzicht auf zahlreiche „Anti-Terrorismus -Bestimmungen“ aus der Strafprozeßordnung: bei der Telefonüberwachung, bei Hausdurchsuchungen, Straßenkontrollen und Verteidigerbeschränkungen. Eine Änderung müßte auch im Strafvollzugsgesetz bei den Haftbedingungen, im Gerichtsverfassungsgesetz bei der Sonderzuständigkeit des Generalbundesanwalts und der Kontaktsperre erfolgen, und ebenso müßte auch die innerhalb der Sicherheitsbehörden heftig umstrittene Kronzeugenregelung abgeschafft werden.
Über 2.000mal baute die Polizei seit der Einführung des entsprechenden Paragraphen 111 in die Strafprozeßordnung im ganzen Bundesgebiet Straßen-Kontrollstellen auf. Der Erfolg war gleich Null. Noch niemals konnten Täter festgenommen oder gerichtsfeste Beweise sichergestellt werden. Kommentar des Bundesjustizministeriums zu diesem schönen Ergebnis: Das Instrument sei „nicht übermäßig effizient“.
Die Kronzeugenregelung, die, wie berichtet, vor wenigen Tagen vom Landgericht Berlin erstmals angewendet wurde, lehnen die Grünen mit der bekannten Begründung ab, daß selbst Mörder sich durch nachgeschobene und möglicherweise falsche Beschuldigungen freikaufen könnten. Die Nazis hätten seinerzeit ebenfalls eine Kronzeugenklausel vorgeschlagen, schreiben die Grünen, und sie als „Vorzugsbehandlung für Spitzel und Schufte“ bezeichnet.
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