Litauen lenkt ein

■ Gorbatschows Nervenkrieg erzielt anscheinend Wirkung: Litauen entsendet Unterhändler nach Moskau

Wilna (ap/dpa) - Angesichts der jüngsten Warnungen und Drohungen Gorbatschows war die litauische Führung am Montag bemüht, den Konflikt um die Unabhängigkeit Litauens nicht zu verschärfen und mit Moskau ins Gespräch zu kommen. „Die Litauer“, sagte Präsident Landsbergis, „müssen die Probleme Gorbatschows mit einkalkulieren.“ Landsbergis forderte das Parlament Litauens, das am Montag zu einer Plenarsitzung zusammengekommen war, auf, „auch über die estnische Variante zu diskutieren. Über die Unabhängigkeit kann es keine Debatte geben, wir müssen aber nach Wegen suchen, wie sie zu erreichen ist.“ Mit dieser Rede hat Landsbergis erkennen lassen, daß er ein auf mehrere Jahre angelegtes Stufenmodell für die Unabhängigkeit Litauens akzeptieren könnte. Um darüber zu beraten, hat Litauen den Abgeordneten Egidius Byckaukas nach Moskau geschickt.

In einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen hatte sich der litauische Präsident Vytautas Landsbergis am Sonntag abend noch einmal gegen die Forderung Moskaus nach Rücknahme der Unabhängigkeitserklärung gewandt. Dies sei „zu kompliziert, um nicht zu sagen unmöglich“, sagte er. Laut Radio Moskau äußerte Landsbergis am Montag die Hoffnung, daß es trotz Gorbatschows Drohgebärden vom Wochenende zu einer friedlichen Lösung des Konflikts kommen werde. Litauen werde alles tun, um die Beziehungen zur Sowjetunion in Ordnung zu bringen.

Dem nach Moskau entsandten Unterhändler Byckaukas sollen drei weitere Unterhändler folgen, darunter auch der stellvertretende Ministerpräsident Romualdas Ozola. Fortsetzung auf Seite 2

Byckaukas hatte sich in den vergangenen zwei Wochen bereits mehrfach in Moskau bemüht, zur sowjetischen Führung Kontakt aufzunehmen.

Landsbergis hat ein Angebot des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Vaclav Havel angenommen, dort mit der Sowjetunion über die Unabhängigkeit Litauens zu verhandeln. Wie die tschechoslowakische Nachrichtenagentur 'ctk‘ am Montag meldete, hat Havel Landsbergis und Gorbatschow in der vergangenen Woche Prag als neutralen Ort für Verhandlungen zwischen Litauen und der Sowjetunion vorgeschlagen. Von einer Antwort Gorbatschows zu dem Angebot Havels berichtete die Agentur nichts.