Böhme tritt von Parteiämtern zurück

Der SPD-Vorsitzende sieht sich zu einer schnellen Entkräftung des Verdachts der Stasi-Informantentätigkeit nicht mehr in der Lage / SPD-Koalitionsentscheidung heute  ■  Von Matthias Geis

Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der DDR-SPD Ibrahim Böhme hat gestern seinen Rücktritt von den Parteiämtern erklärt. In einem Brief an den Parteivorstand begründete er seinen Entschluß mit weiteren, wahrscheinlich langwierigen Untersuchungen zur Entkräftung des gegen ihn erhobenen Verdachts einer Informantentätigkeit für den ehemaligen Staatssicherheitsdienst. Die Aktensuche in der Normannenstraße, die am letzten Freitag begonnen hatte, habe ergeben, daß eine schnelle Klärung des Verdachts nicht möglich sei. Um „die Arbeit in der Partei und die junge Demokratie“ nicht zu belasten, lege er seine Ämter nieder.

Am Freitag hatte Böhme noch erklärt, er wolle am Montag seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen, da bei der mehrstündigen Akteneinsicht kein belastendes Material gefunden worden war. Böhme begründete seine Entscheidung weiter mit seinem angegriffenen Gesundheitszustand. Die Parteiführung der SPD, vertreten durch den amtierenden Vorsitzenden Markus Meckel, Karl-August Kamilli und Richard Schröder, unterrichteten gestern die Öffentlichkeit von Böhmes Rücktritt. Schröder erklärte, die Parteiführung „respektiere seine Entscheidung“. Über sein Volkskammermandat sei in dem Brief nicht die Rede, so daß man davon ausgehe, daß Böhme auch weiterhin Abgeordneter der Volkskammer bleibe.

Markus Meckel erklärte seine persönliche Betroffenheit. Mit der Überzeugung, niemand dürfe für schuldig gesprochen werden, dessen Schuld nicht bewiesen sei, drückte sich Meckel um eine persönliche Stellungnahme. Böhme, so Meckels knappe Würdigung, habe mit seinem Wirken viel dafür getan, daß die Parteiarbeit vorangehe.

Bevor die Parteiführung am Montag den Rücktritt akzeptierte, hatte es offensichtlich keine Rücksprache mit Böhme gegeben. Schröder erklärte, er habe Böhme, der sich mit Freunden an einem unbekannten Ort aufhalte, seit Freitag nicht mehr gesprochen. Deshalb blieb offen, wodurch Böhmes Sinneswandel motiviert wurde. Schröder berichtete lediglich vom Verlauf der Akteneinsicht in der Normannenstraße. Dort seien zuerst drei Karteikarten gefunden worden. Die zugehörigen Akten hätten jedoch nach Ansicht der Vertreter des Bürgerkomitees keine belastenden Anhaltspunkte enthalten. Erst nach Beendigung der Suche habe ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter eine vierte Karteikarte gefunden. Trotz intensiven Nachforschungen während des Wochenendes seien die betreffenden Akten jedoch nicht aufgetaucht. Die Frage, warum die Partei ihrem Vorsitzenden, gegen den bislang kein belastendes Material entdeckt worden sei, sang- und klanglos ziehen lasse, blieb auf der Pressekonferenz unbeantwortet.

Obwohl Böhmes Entscheidung einem Schuldeingeständnis nahezukommen scheint, ist auch ein Zusammenhang des Rücktritts mit der sich abzeichnenden großen Koalition in Ost-Berlin nicht ausgeschlossen. Böhme hatte nach der Wahl eine Koalition kategorisch abgelehnt und für den Fall einer entgegengesetzten Entscheidung intern mit seinem Rücktritt gedroht. Die CDU respektierte gestern ebenfalls Böhmes Entscheidung, wies jedoch jede Parallele zu ihrem Vorsitzenden de Maiziere zurück, der sich ebenfalls Beschuldigungen einer Stasi-Mitarbeit konfrontiert sieht. Die Gruppierungen des Bündnisses 90 bedauerten Böhmes Schritt. Die gesundheitlichen Gründe, die Böhme angebe, seien unbedingt ernst zu nehmen, erklärte ein Sprecher der Initiative Frieden und Menschenrechte.