: Medienkontrollrat - ein Wolf ohne Zähne
Der im Februar gebildete Medienkontrollrat der DDR wurstelt zwischen Anspruch und Wirklichkeit / Garantie von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Pressemarkt / Unklar ist, ob Modrow überhaupt noch einen Rundfunkintendanten bestätigen kann ■ Von Ute Thon
Berlin (taz) - „Wir verhalten uns wie das Schaf, das den Wolf bittet, nicht von ihm gefressen zu werden“, beschrieb Martin Kramer, der Vorsitzende des Medienkontrollrates, die Situation, in der sich das Aufsichtsgremium der DDR-Medien derzeit befindet. Dem Rat fehlt es an Macht und an Erfahrungen. Im Februar in Berlin gegründet, gehören dem Kontrollrat 23 Beauftragte von Parteien und Gruppierungen des zentralen Runden Tisches der DDR, der Volkskammerfraktionen, von der Regierung sowie der Kirchen an. Er wurde auf Vorschlag des Runden Tisches gebildet aufgrund des von der Volkskammer am 5. Februar verabschiedeten „Beschlusses über Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“.
Der Medienkontrollrat soll über die Durchsetzung der in dem Beschluß niedergelegten Grundsätze wachen. Dazu gehören die Umwandlung von Rundfunk und Fernsehen in öffentlich -rechtliche Anstalten, die Gewährleistung des Rechts auf Herausgabe und Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und anderen Publikationen sowie die Beratung von Statuten, die die Programmatik und Struktur der Medien regeln. Dabei ist der Kontrollrat aber weder ein Exekutivgremium noch wird er selbst gesetzgeberisch tätig, sondern in seiner Überwachungsfunktion weist er den Ministerrat auf existierenden Handlungsbedarf hin.
Auf seiner letzten Sitzung diskutierte der Medienkontrollrat unter anderem über die Einführung von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem inländischen Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt. Wie bereits berichtet bringen westdeutsche Großverlage ihre Publikationen jetzt zum Preis von 1:1 auf den DDR-Markt. DDR-Publikationen, die mehr und mehr um ihre Existenz bangen, werden in einem solchen direkten Konkurrenzkampf mehrheitlich auf der Strecke bleiben. Schon jetzt registrieren die DDR-Verlage einen drastischen Rückgang der Abonnentenzahlen: 3,6 Millionen DDR -Bürger haben ihr Abo bereits abbestellt. Das hängt vor allem mit der Preisentwicklung zusammen, denn durch den Abbau staatlicher Subventionen kosten fast alle DDR -Presseerzeugnisse jetzt nahezu das Dreifache. Das 'Neue Deutschland‘ beispielsweise, früher für 15 Pfennige zu haben, kostet jetzt soviel wie die 'Bildzeitung‘.
Der Medienkontrollrat möchte die DDR-Zeitungen zumindest für eine Übergangszeit vor dem Verdrängungswettbewerb schützen. In Ermangelung endgültiger gesetzlicher Regelungen einigte man sich schließlich auf einen Beschluß, in dem der Regierung nahegelegt wird, „darauf hinzuwirken, Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Pressesektor einzuführen“. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs sollen alle westdeutschen Verlage für eine Übergangszeit den Verkauf ihrer Publikationen im Währungsverhältnis 1:3, wie es bislang geschah, beizubehalten. Die DDR-Regierung wandte sich nun mit einem besorgten Schreiben ans Bundesinnenministerium: Die Existenz vieler Tausender Arbeitsplätze stehe auf dem Spiel. Ob mit solch einem moralischen Appell allerdings die Großverleger zu stoppen sind, die sich beizeiten Anteile des lukrativen DDR-Medienmarktes sichern wollen, ist mehr als fraglich.
Modrows Kompetenzen
Ein weiterer Beratungspunkt auf der Tagesordnung des Medienkontrollrats galt der Bestätigung der Generalintendanten des Deutschen Fernsehfunks und des Hörfunks. Dem Vorsitzenden Kramer lag zu diesem Punkt ein Schreiben des Ministerpräsidenten Modrow vor, in dem er das Gremium um die Bestätigung des Generalintendanten des DDR -Hörfunks Manfred Klein bat. In seiner vorletzten Sitzung hatte der Medienkontrollrat einem von Klein vorgestellten neuen DDR-Hörfunkstatut (mit dem vorsichtigen Titel Entwurf der Endfassung des vorläufigen Statuts des Rundfunks der DDR) zugestimmt. Hennig Stoerk, medienpolitischer Sprecher der CDU, verblüffte die Runde nun allerdings mit überraschenden Neuigkeiten. In einem persönlichen Gespräch hätte Klein ihm offenbart, daß er unter den jetzigen Bedingungen für den Posten des Hörfunkintendanten nicht zu haben sei. Ist Modrow schlecht informiert, oder reitet die CDU hier eine kalkulierte Attacke? Die verwirrten Ratsmitglieder wollten unter diesen Umständen jedenfalls den Antrag des Ministerpräsidenten lieber auf einen späteren Zeitpunkt vertagen, zumal auch die Frage geklärt werden müsse, ob Modrow in seiner derzeitigen Übergangsfunktion überhaupt über die Bestätigung oder Nichtbestätigung eines Rundfunkintendanten zu befinden habe.
Ähnlich verfuhr der Medienkontrollrat darum auch mit Modrows zweitem Antrag auf Bestätigung des Generalintendanten des Deutschen Fernsehfunks, Hans Benzien. In beiden Fällen einigte man sich darauf, den derzeitigen provisorischen Status der Rundfunkanstalten mit rechtlich (noch) nicht legitimierten Generalintendanten zunächst fortzuschreiben. Auch im Falle Benzien hatte Stoerk massive Einwände. Er forderte gar den sofortigen Rücktritt des Generalintendanten des Fernsehens, weil Benzien den Rat schwer getäuscht hätte. Damit bezog er sich auf den Vertragsabschluß des DFF über die Vermarktung der Fernsehwerbung, die es voraussichtlich ab dem 15. April im DDR-Fernsehen geben wird. Als Generalauftragnehmer wurde die französische Werbeagentur „Information et Publicite“ (IP) verpflichtet. Diese Firma soll aber nach Stoerks Informationen eine hundertprozentige Tochter des Privatsenders RTL plus sein. Enge Verflechtungen zwischen IP und RTL plus könnten das DDR-Fernsehen bei der Akquirierung von Werbekunden unter Umständen von dem westdeutschen Privatsender abhängig machen.
„Über den Tisch gezogen“
Auch diese Enthüllungen überraschten die Ratsmitglieder wieder vollends, hatten sie doch erst in ihrer letzten Sitzung Benziens Verhandlungsabsichten mit dem Pariser Medienunternehmen vertrauensvoll zugestimmt. Nun fühlte man sich von dem Generalintendanten „über den Tisch gezogen“. Tatsache ist, daß der Rat vor Vertragsabschluß keine detaillierten Informationen über die Werbefirma einholte und deshalb nun möglicherweise auf dem Weg hin zu einem seriösen öffentlich-rechtlichen Status des DDR-Fernsehens unversehens einen Handel mit einem der Hauptakteure des Kommerzfunks eingegangen ist.
An solchen Details wird das Dilemma sichtbar, in dem das Kontrollgremium sich befindet. Einerseits verlangt die schwebende Situation, in der sich die Medienlandschaft der DDR derzeit befindet, schnelle Entscheidungen. Zumal westliche Verlage und Rundfunkanstalten bereits mit fertigen Konzepten auf der Lauer liegen und möglichst schnell Fakten schaffen wollen. Andererseits ist der amtierende Ministerrat nicht gerade handlungsfreudig, und der neue Ministerrat ist nicht handlungsfähig. Im Medienkontrollrat herrscht darum Unklarheit über Verfahrensfragen. Bislang verfügt der Medienkontrollrat nicht einmal über ein eigenes Sekretariat, Beschlußvorlagen liegen den Ratsmitgliedern nicht in schriftlicher Form vor, so daß später Zweifel über den beschlossenen Wortlaut herrschen.
Trotz der improvisierten Arbeitsweise - immerhin existiert der Medienkontrollrat erst seit gut einem Monat - zeichnen sich doch schon Strukturen ab, die man von vergleichbaren BRD-Gremien, etwa bei den Rundfunkräten, kennt. Es wird zuweilen taktisch und parteipolitisch argumentiert, wo diese Gremien doch eigentlich staatsunabhängig sein sollten. So war die Attacke des CDU-Vertreters Stoerk gegen Benzien wohl nicht ganz uneigennützig vorgebracht. Intern wird Hennig Stoerk bereits als CDU-Wunschkandidat für den Intendantenposten gehandelt. Zudem soll er bereits eine eigene Medien-Agentur (Media Nova) in der DDR gegründet haben. Auch deshalb dürfte ihm der Vertrag mit einer ausländischen Werbeagentur, die die DDR-Fernsehwerbung exklusiv vermarktet, nicht gut gefallen.
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