EINE ART REIZSCHUTZ

■ Zeichnungen und Tagebuchaufzeichnungen von Friederike Schubert-Ruthenberg in der Galerie Bernau, Ost-Berlin

Friederike Schubert-Ruthenberg, geboren im September 1922, floh im Mai '45 aus Greifswald. „Aus Angst vor Zerstörung der Stadt und vor dem Einmarsch der Russen. (Es ahnte keiner außer ein paar Eingeweihten, daß die Stadt kampflos übergeben werden würde - dank dem Oberst Petershagen...)“, so schreibt sie in ihrem Tagebuch. Nur zufällig überlebte die damalige Kunststudentin die Bombardierung Dresdens. Sie kam nach Hause und „war ein bißchen enttäuscht, daß meine Eltern es für selbstverständlich hielten, daß ich mit allen heilen Gliedern vor ihnen stand. Aber der Krieg holte uns auch dort bald wieder ein. Vor lauter Angst standen dann Kähne im Hafen. Wer sich fürchtete, konnte einsteigen und wurde ins Ungewisse gebracht.“ Nach Karlsburg, Wolgast, Rügen.

In ihrem Tagebuch zeichnete sie auch. In den kleinen Skizzen von '45 - vor allem Aquarelle und Bleistiftzeichnungen -, die nun in der Galerie Bernau ausgestellt sind, zeigt sich ein Verzicht auf alles Persönliche, ein Versuch, die Dinge so wie sie sind festzuhalten und so, in der Bedrückung, sich selber festzuhalten. „Das war eigentlich eher Psychotherapie“, meint sie. Klare, feine Linien, die versuchen, gegen den äußeren Zusammenbruch das Detail festzustellen; ein Zimmer, das Bett, in dem sie vielleicht einmal geschlafen hat, das Fenster am Kopfende des Bettes. Das ist alles so dänisch harmonisch, daß man Idyllen beargwöhnen könnte, auf die sich der großbürgerlich Kulturverwöhnte - sie stammt aus einer alten Künstlerfamilie - immer zurückziehen kann, wenn draußen alles zusammenbricht. Aber die Zeichnungen der damals 22jährigen sind doch auch wieder unsicher und schüchtern, gerade im Bestehen auf etwas Schönem, geprägt so von der Zerstörung, daß diese Zerstörung hinter ihnen aufscheint. Aquarelle, auf denen im schönsten blassen Orange die Abendsonne im Wasser sich spiegelt zwischen Elbbrücken in Dresden, in Brühl, kurz vor der Zerstörung, sind nicht Zeichen von Wirklichkeitsflucht, sondern Versuche, gegen die Zerstörung von Wirklichkeit eigene Wirklichkeit festzuhalten.

Erst zwei Jahre nach Kriegsende finden sich zumindest atmosphärische Spuren des Krieges. Die Linien sind nicht mehr so klar, es gibt keine Farben mehr, sondern nur Silhouetten. Flächig schwarz schaut ein Geiger aus dem Fenster, steht ein Mädchen schutzlos im Raum; es kann vielleicht so schutzlos im Raum stehen, weil die eigene Kunst als Psychotherapie funktioniert und, im Bestehen auf das längst Vergangene, die Wirklichkeit des Kriegs geleugnet hatte. Die Künstlerin hatte mit ihren Bildern eine Art Reizschutz aufgebaut, der nach '47 nicht mehr notwendig schien.

Eher zufällig ist die Ausstellung am Stadtrand von Berlin zustande gekommen. Jemand hatte die Zeichnungen gesehen und fragte die Künstlerin, ob sie nicht Interesse daran hätte, sie einem größeren Publikum zu zeigen. Sie hatte.

Neben den Tuschezeichnungen finden sich Tagebuchaufzeichnungen in Originalkopien oder in Schreibmaschinenschrift transkribierte Auszüge. Rührende Passagen wie eine Eintragung von '45: „Vor dem Schlafengehen sehe ich in Juhls Garten. Der große Nußbaum, Holunderbüsche, in der Ferne eine dunkle Pfingstrose, vorne eine blaugrüne Gartentür, ein gelber Holzhaufen, ein silbergrauer Weg; rechts wieder Holunder: das möchte ich malen.“ Hat sie auch. Und dann „diese kleinen Zeichnungen an meine Mutter im Brief nach Hause geschickt, damit sie genau orientiert ist, was ich so erlebe; und wo ich wohne, wo ich schlafe und was ich so treibe.“

Die kleine, rotwangige Frau erzählt zur Eröffung einem gespannt lauschenden Publikum aus dieser Zeit. Im Hintergrund spielt einer auf dem Schifferklavier. Geschichten wie die vom russischen Soldaten, der sie bat, ihn zu porträtieren: „Ich wurde empfangen an einem wunderbaren Frühstückstisch, und es wurde ein herrliches Frühstück ausgebreitet, zu dem ich eingeladen war. Wodka mußte ich zuerst trinken - ich hatte gedacht, das ist Wasser und trank das so hintereinander weg, und da schwanden mir die Sinne. Ich mußte aber noch zeichnen, und es wurde dann so ähnlich, daß der Soldat in einen Saal eilte, wo die ganzen Schätze des Stettiner Museums lagerten - ich brachte es kaum fertig herauszugehen, ohne irgend etwas mitgenommen zu haben -, und für sein Bild gleich einen Goldrahmen holte.“

Geschichten aus den Anfangsjahren der DDR: „Ich habe dann einen Neulehrerkursus mitgemacht und bin Lehrerin geworden. Es war eigentlich noch schlimmer als die Landarbeit in Karlsburg. Das fing damals an, was wir dann vierzig Jahre hindurch bis zum Geht-nicht-mehr gemacht haben. Alle Fenster mußten mit Friedenstauben beklebt oder große Plakate mit Rot und Weiß - Symbole des Volkes - und Stalinporträts bemalt werden. Ich habe mir gesagt, dazu möchte ich meine Kunst doch nicht hergeben, politische Programme zu gestalten.“

Später hatte die 67jährge, die so freudig, aber auch unsicher erzählte - „Finden Sie das lächerlich?“ fragt sie mich - im Leipziger Institut für Pflanzenzüchtung, durch ein Biokular schauend, sich mit Unkrautsamen beschäftigt. „Dienstleistungen für die Wissenschaft“, wie zum Beispiel die Geschichte der Medizin. „Es war damals im Schwange, daß man nichts allein machen sollte, sondern im Kollektiv“, so sagt sie, und das sei „gerade für Künstler natürlich so 'ne Sache. Wir sollten abbilden, wie eine Operation sich vollzieht und dann der gesunde Mensch entlassen wird.“ Das langweilte sie, und sie zog sich mit ihrer Kunst zurück. „Als ich zurück nach Hause kam und meine Mutter sah, daß ich nur noch ein Strich war, da meinte sie: Es ist doch wirklich für eine Frau die Kunst Mord.“ Statt weiter öffentlich als Künstlerin tätig zu sein, heiratete sie.

Detlef Kuhlbrodt

Galerie Bernau, Thälmannstraße 4, 1280 Bernau (S-Bahn -Station Bernau). Geöffnet Di-Do 13-18, Fr 13-20, Sa 10-12 und 18-20, So 14-17 Uhr.