Nichts zum Mitnehmen

■ Leander Haußmann inszenierte am Kleist-Theater in Frankfurt/Oder Schillers „Kabale und Liebe“

Damals, als es noch eine „ordentliche“ Diktatur in der DDR gab, stand das Theater hoch im Kurs. Es konnte sich durch fehlende Öffentlichkeit legitimieren und avancierte zu einem wichtigen Ort politischer Verständigung. Schillers Stücke mit ihrem aufklärerischen Impetus und ihren scharfen Analysen totalitärer Machtmechanismen eigneten sich dafür besonders gut. Erinnert sei hier an die Schweriner Wilhelm Tell-Inszenierung, die zur politischen Manifestation geriet, da sie den Alleinherrschaftsanspruch eines Tyrannen in Frage stellte. Doch die Zeit der Tabustürmer und politischen Aufklärer ist vorbei. Die veränderten Realitäten zwingen dazu, die Wirkung und Funktion von Theater jenseits eines Öffentlichkeitsersatzes zu bestimmen, was einige Theatermacher vor ernste Probleme stellt. Leander Haußmann (Jahrgang 1959) gehört nicht dazu. Er ist einer der Regisseure, die sich von den großen Theatererzählungen und Konflikten nicht einschüchtern lassen, sondern diese radikal und mit viel Ironie in Frage stellen. Haußmann befindet sich auf dem besten Weg zu einem neuen enfant terrible des DDR -Theaters.

Zum Stück zeichnet der Regisseur immer zuerst einen Comic, bei Kabale und Liebe als Programmheft erhältlich. Die Story wird in dieser Skizze von gegenwärtigen Haltungen zersetzt. Authentisches Lebensgefühl kontert dem Pathos Schillers.

In Kabale und Liebe treffen die Welt der Kleinen und die Welt der sogenannten Großen aufeinander. Die kleinbürgerliche Enklave des Millerschen Hauses versucht moralische Integrität zu behaupten, ist damit aber, ob ihres tristen Lebens, auch nicht so recht glücklich. Bei Familie Miller, die in Frankfurt/O. Müller genannt wird, kracht's mächtig. Herr und Frau Müller liefern sich Schimpfkanonaden, verbieten sich per „Halts Maul!“ gegenseitig den Mund, oder es hagelt Backpfeifen, von denen auch Unbeteiligte nicht verschont bleiben. Luise, gespielt von Katrin Schwingel, findet den Ehekrach ziemlich „ätzend“ und verzieht sich an die Rampe, um dort widerwillig auf dem Akkordeon „Freude schöner Götterfunken“ zu üben. Wenn die Familie Hausmusik macht, schneidet sie Fratzen.

Dritte sind unerwünscht bei Familie Müller: Den Präsidentenberater Wurm (Thorsten Ranft), der auf Luise scharf ist und unheimlich aufdreht - er legt eine Mischung aus Flamenco und Breakdance aufs Parkett -, lassen sie abblitzen, und den Präsidenten schmeißt Herr Müller gar eigenhändig aus der Wohnung. Im Hause des Präsidenten (Ralf Doetteich) einem charmanten Gangster mit vibrierendem Timbre, bewegen sich die Personen im Tangoschritt. Er unterhält homoerotische Beziehungen zu Kalb und Wurm und schürt mit Interesse an der Unterhaltung deren Rivalität. Auf der Gitarre spielt er wie Ricky King oder singt gemeinsam mit seinem Sohn Ferdinand (T. Spohn) einen Stones -Oldie. Bei einem so faszinierenden Vater hat es Ferdinand schwer, sich zu emanzipieren. Ihm bleibt nichts weiter übrig, als eine eiserne Wendeltreppe - nicht die Welt - aus den Angeln zu heben und diverse Säulen auf der Bühne umzustürzen.

Am Schluß wird der Selbstmord Ferdinands verhindert, in dem Bühnenarbeiter das Bühnenbild abbauen. Mit dem Abbau der Dekoration wird die Fiktion des Theaters zerstört, die Figuren verlieren ihre Existenzgrundlage - und die Milford (Rahel Ohm) schreit: „Laßt das stehen!“

Vergreiste Klassikerverwalter, die mit dem Text in der Hand ungestört im Zuschauerraum sitzen wollen, und diejenigen, die auf eine Auseinandersetzung mit soziologischen und historischen Fragestellungen hoffen, sollten lieber zu Hause bleiben. Hier gibt's keine Botschaften zum Mitnehmen.

Katka Bischof