Ein gefälliger Weltuntergang

■ Martin Shermans „Ein Irrenhaus in Goa“ in Basel

Wenn am Ende der Vulkan ausbricht und die Katastrophe naht, weiß man wenigstens, warum: Schuld sind das Ozonloch, Aids, der jesussüchtige Hollywood-Produzent, die palästinensische Terroristin, ein Akupunkturtherapeut und die hysterische Ehefrau des Schriftstellers, der es wie alle Schreiber mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Es geschieht viel, aber mit Goa hat das nichts zu tun. Oder doch? Des Rätsels Lösung könnte eine Ansichtskarte sein, die Mrs.Honey aus Goa schickt. Dort komme jeder, der ohne Paß aufgegriffen werde, zuerst einmal ins Irrenhaus, schreibt sie. Und sonst? Richtig, Goa an der Westküste Indiens war in der Flower -Power-Zeit Fluchtpunkt aller Träume von einem Reich der freien Liebe. Das war vor dreißig Jahren, und davon, daß diese Träume im Laufe der Zeit abhanden kamen, handelt Martin Shermans Stück.

Ein gewagtes Unternehmen. Denn daß man heute nicht mehr so frohgemut ist und Untergangsszenarien inzwischen wie Kapital akkumuliert, hat zwar etwas dramatisches. Ob die daraus resultierende Konfusion in unserer psychischen Befindlichkeit zum dramatischen Stoff taugt, ist allerdings mehr als fraglich. Aber zurück in die Sechziger Jahre. Die Bäume wachsen auch in dieser Zeit nicht in den Himmel, und schon gar nicht in einem Hotel auf Korfu. Dafür sorgt Mrs.Honey aus Mississippi, Amerika. Sie hat sich im Hotel eingemietet und kann nur eines: Reden, immerzu. Eigentlich müßte Costos so heißen wie sie. Der Griechenjüngling singt honigsüß, morgens bedient er an den Frühstückstischen und in der Nacht David - unter einem Handtuch. Er zeigt ihm, wie zärtlich seine Hand ist, will allerdings Davids Uhr dafür. Der ist Melancholiker, ein waschechtes Individuum der aussterbenden Art, und rückt die Uhr raus.

Bald ist Halbzeit in Basel, und bis jetzt könnte noch nichts Belastendes gegen das Schauspiel in der Sandoz-Stadt vorgebracht werden. Reinhild Solf hat der Mrs.Honey entnervende Stimmqualitäten verliehen und Marcelo Uriona sang als Costos äußerst hübsch vom „Summer in the City“. Aber die schweren Neunziger kommen: Die Nagelprobe, ob Martin Sherman die Zeit dramatisieren kann, in der die leidenden Figuren fehlen, weil der Wahnsinn so schrecklich schön geworden ist. Aus Korfu ist Santorin geworden, aus Mrs.Honey Ehefrau Heather, aus David Herr Daniel Hosani, verheiratet mit der alten Lady aus Mississippi. David hat die Geschichte vom Hotel auf Korfu zum Bestseller verarbeitet und wurde dafür mit einem Schlaganfall bestraft. Der Jesus-Produzent aus Hollywood will seine Geschichte zum Musical verarbeiten, Daniel kann sich nicht wehren, die Lage spitzt sich zu. Dann bricht der Vulkan aus, die Welt geht unter - aber alles geht weiter.

In Basel wurde niemand erschüttert. Das liegt nur zum Teil daran, daß Martin Sherman zu viel Untergangshysterie in sein Stück gepackt hat. Vor zehn Jahren schrieb er „Bent Rosawinkel“, die Geschichte einer schwulen Liebe im KZ - ein überzeugendes Kammerspiel. Es war eine einfache Geschichte, konzentriert auf die beiden Hauptfiguren. Auch bei uns war „Bent“ häufiger zu sehen. Dann wurde es hierzulande still um den in London lebenden Amerikaner. Er produzierte für den Broadway und hat sich dabei wohl etwas zu sehr in Richtung Boulevard verirrt. Zwischen „Bent“ und dem „Irrenhaus in Goa“ liegt nicht nur zeitlich eine große Distanz. Auch im „Irrenhaus“ gibt es zwar noch Shermans lebendige Figuren, aber Regisseur Hans Hollmann interessierte sich offenbar wenig für sie. Lieber machte er es sich, zusammen mit dem Autor, auf dem breiten Boulevard bequem. Eine gefällige deutsche Erstaufführung.

Jürgen Berger

Regie: Hans Hollmann, Bühne: Wolfgang Mai.

Die nächsten Aufführungen: 5., 10., 20., 21., 23., 26., 27., 30.April