Normal, was ist normal?

Die Bundesrepublik verliert nach Verlängerung im Davis-Cup-Viertelfinale mit 3:2 gegen Argentinien  ■  P R E S S - S C H L A G

Es wird ja so viel geschwätzt wie der Tag lang ist, aber am meisten immer noch während einer Tennisübertragung. Weil die Zeit sich traumatisch dehnt - zumal bei diesen endlosen Matches auf Sand - und die Statistik irgendwann nichts mehr hergibt: Bei ihren bisherigen acht Begegnungen ging X siebenmal als Sieger vom Platz...hat im vergangenen Jahr bei drei Grand-Prix-Turnieren das Viertelfinale erreicht...1987 seine beste Saison usw. usf.

Und so kommt es, daß dem Trainer und Fernsehkommentator Günter „Günzi“ Bosch plötzlich delirierend Genialisches durch den Kopf schießt, was er uns auch umgehend mitteilt: „Normal“, fragt er, „was ist denn heute noch normal?“ Nix! Oder alles? Der DDR-Bürger zum Beispiel, der CDU gewählt hat wegen 1:1 und der Ludwig-Erhard-Parole „Wohlstand für alle“, und der jetzt sehen muß, daß er statt gebratener Tauben weiter erstmal halbgare Broiler essen muß?

Oder Carl-Uwe Steeb? Hat irgendwie Morgenluft gewittert und der 'Welt am Sonntag‘ mitgeteilt: „Einiges an Becker finde ich total falsch“, und daß es auch ohne den geht, wonach ihn Landesvater Lothar Späth auf einem Fest kürzlich zu seinem neuen Favoriten gemacht hat: Ein Mann, mit beiden Beinen auf dem Boden, so recht schwäbisch und überhaupt nicht spinnert, das g'fällt dem High-Techler aus Stuttgart dann doch besser als ein filouhafter Kosmopolit.

Oder 'Bild‘? Die bringen's im Kommentar blitzgenau auf den Punkt: „Wir sind gegen Argentinien baden gegangen, weil unser bester Mann am Strand lag.“ Das würden sie ja gerade noch durchgehen lassen, „aber daß Becker in Buenos Aires nicht mal angerufen hat, finden wird traurig.“ Ist schon eine arme Sau, der Monegasse: Ruft er an, bringt er doch nur Unruhe ins Team, und daß er nicht in Miami liegt, sondern in Leimen hockt, macht auch nichts, weil der Draht von 'Bild‘ zum Helden von gestern halt abgerissen ist mittlerweile.

Oder die argentinischen Fans? Haben die Bundesdeutschen ganz schön durcheinander gebracht mit ihre Gesängen wie: „Wir sind die Bande aus dem Freudenhaus“, was unsere Schlachtenbummler hätten kontern können mit einem geschmetterten „Hey, wir fahr'n in Luxuspuff von Barcelona“ und damit Pilic & Co mit einer vertrauten Weise den Rücken stärken. Nichts davon, aber da bleibt ja noch der hämische Trost, daß den Argentiniern nach dem Feiern schon die Augen übergehen, wenn sie zur Tagesordung kommen - und die heißt: „Wirtschaftliche Schwierigkeiten bekämpfen“ ('Bild‘).

Oder Claus Stauder, der Tennispräsident? „Wir sind stolz auf die Mannschaft und verlassen Buenos Aires erhobenen Hauptes.“ Wieso? 3:2 für Argentinien! „Das ist nicht enttäuschend für uns.“ Findet's offenbar ganz normal, der Boß, nach 1.111 Tagen im Davis-Cup wieder einmal zu verlieren.

1.111, 'ne Schnapszahl. Prost, bis zum nächsten Jahr!

-thöm