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„Wir können kein Geld für Lohnerhöhungen ausweisen“

■ Dietrich Mandler vom Kombinat Mikroelektronik über den Umstellungskurs von 2:1, die Forderungen der Gewerkschaften und die Vorstellungen der Unternehmen

Dr. Dietrich Mandler war Betriebsdirektor des VEB Mikroelektronik „Karl Marx“, Stammbetrieb des Kombinats Mikroelektronik (KME) in Erfurt. Danach leitete er drei Jahre lang das kombinatseigene Forschungszentrum und ist jetzt Geschäftsführer des „Internationalen Büros für Cooperationen und Joint-ventures“ (IBC). Hauptaufgabe des IBC ist es, Westpartner für die insgesamt 22 Einzelbetriebe des Kombinats mit 60.000 Beschäftigten zu finden.

taz: Ist in Ihrem Kombinat die Betriebsgewerkschaftsleitung schon vorstellig geworden, um per Lohnforderung die 2:1 -Umstellung auszugleichen?

Dietrich Mandler: Nein. Das liegt aber auch daran, daß seit Bekanntwerden des 2:1-Vorschlages noch nicht ausreichend Zeit war, daß sich die Gewerkschaft dazu positioniert. Sie befindet sich ja selbst gerade in einem Formierungsprozeß. Ich bin aber überzeugt, daß sie einen 2:1-Umtauschkurs der Löhne und Gehälter unter keinen Umständen akzeptieren wird und damit automatisch, falls man gezwungen würde, einen solchen Weg zu gehen, Lohnforderungen auf den Tisch bekommen wird.

Und wie wird das KME darauf reagieren? Die Kombinatsleitung muß doch daran interessiert sein, daß die Leute die 2:1 -Umstellung schlucken?

Unser Interesse muß es sein, gemeinsam mit der Gewerkschaft effiziente Strukturen zu bilden und Aufwendungen zu minimieren. Das heißt, daß wir mit weniger Menschen Gleiches oder mehr leisten müssen. Außerdem müssen wir mit den Gewerkschaften Überlegungen anstellen, neue Produkte zu finden.

In der DDR wurden die Löhne bisher mit dem Ministerium ausgehandelt...

Das ist korrekt. Bisher gab es Lohnfonds-Zuwendungen für die Betriebe, die zentral, in Abhängigkeit des Vorjahresergebnisses, zugeteilt wurden, allerdings sehr verwässert. Es ist ja kein Geheimnis, daß die Betriebe bislang jährlich 1,5Prozent als Lohnfonds-Zuwachs bekamen.

Heißt das, daß künftig für das Kombinat oder einzelne Betriebe Haustarife abgeschlossen werden?

Persönlich bin ich überzeugt, daß die einzelnen Betriebe in Abhängigkeit von ihren Möglichkeiten erst einmal Einzellösungen angehen müssen. Die Unterschiedlichkeit der DDR-Betriebe bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit ist sehr groß. Bis wir dort zu einheitlichen Tarif-Regelungen kommen, die für alle akzeptabel sind, scheint es mir doch ein Stückchen Weges zu sein.

Wie sieht dies denn im KME aus?

In der Formierungsphase sowohl der Kombinatsleitung - auch die wird sich umstrukturieren und erheblich verkleinert werden - als auch der Gewerkschaften haben beide Teile noch keinen abschließenden Standpunkt. Meine persönliche Auffassung ist, daß es dort erhebliche Unterschiede im Ausgangsniveau der Betriebe gibt, so daß einheitliche Regelungen schwer durchzusetzen sind.

Den Chefs der Einzelbetriebe oder der Kombinatsleitung insgesamt ist daran gelegen, die Löhne möglichst niedrig zu halten. Warum sollen die Gewerkschafter den Zahlen, wenn sie ihnen überhaupt vorgelegt werden, trauen? Die Ausgangsbasis für Lohnerhöhungen sind damit für die Gewerkschaften extrem kompliziert.

Sie sind leider nicht nur für die Gewerkschaften kompliziert. Wir sind zur Zeit an zwei wichtigen Punkten, die noch nicht befriedigend gelöst sind. Zum einen müssen wir erst einmal unser Eigenkapital bestimmen. Hier existieren noch völlig andere Rechnungen zu Preisen von Grund und Boden, Gebäuden und Ausrüstungen, als uns zukünftig erwarten. Bei uns ist es noch nicht gelungen, ein solches Eigenkapital unter Gesichtpunkten der freien Marktwirtschaft zu bestimmen.

Die zweite Grundvoraussetzung ist eine Gewinn- und Verlustrechnung, um das in Ihrem Sprachgebrauch zu sagen. Eine akzeptable Rechnung liegt gleichfalls nicht vor, weil vieles unsicher ist. Fast alle Zuliefermaterialien werden zur Zeit zu Preisen gekauft, die nicht dem internationalen Stand entsprechen. Man braucht aber nicht sehr viel Mut dazu, zu sagen, daß bei einer groben Gewinn- und Verlustrechnung auf einem freien Markt für einen sehr großen Teil der Betriebe eine negative Bilanz herauskäme.

Dann muß ich rationalisieren, auch beim Lohn. Aber ich rechne auch damit, daß es Teuerungen gibt. Da muß man darauf achten, daß am Schluß noch soviel Geld unter den Leuten ist, daß sie überhaupt kaufen, daß es überhaupt einen Absatz gibt. Was nützt es, wenn ich produziere, und keiner hat mehr Geld in der Tasche, um etwas zu kaufen!

Wie groß ist bei Ihnen die Lohnkostendifferenz beim Umstellungskurs 2:1 gegenüber 1:1?

Das haben wir noch nicht exakt gerechnet. Aber unsere Gemeinkostensätze sind ungeheur hoch, das geht bis zum Zehnfachen des Lohnes - bei Ihnen ist es im Durchschnitt nur das Dreifache. Das ist so gravierend, daß wir von der unternehmerischen Seite her sicherlich sagen müßten, daß eine 2:1-Umstellung günstiger wäre. Auf der anderen Seite ist aus meiner Sicht, wenn Sie die Verdienste und die Teuerung sehen, ein 2:1 einfach nicht akzeptabel. Sie können nicht von jemandem erwarten, daß er bei sieben- oder achthundert Mark noch ordentlich lebt. Ich würde dann sogar befürchten, daß es zu politischen Auseinandersetzungen kommen wird und die viele Ruhe, die diese Revolution so friedfertig hat verlaufen lassen, dann dahin ist.

In welcher Form? Daß es zu Arbeitsniederlegungen kommt?

Ja, selbstverständlich. Persönlich wäre ich auch der Meinung, man solle die Sparkonten in einem sehr weiten Bereich 1:1 umstellen. Diejenigen, die zwei- oder dreihunderttausend Mark auf dem Konto haben, überlegen sich ja auch, das Geld in die Wirtschaft hineinzubringen. Und man sollte unter allen Umständen die Betriebe der DDR zwingen, zu rationalisieren, um jeden Preis, damit die Gemeinkostensätze verändert werden. Dann halte ich es auch für möglich, die Löhne 1:1 umzustellen.

Ihre berufliche Aufgabe besteht derzeit vor allem darin, Westpartner für die Einzelbetriebe des Kombinats zu finden. Hat die 2:1-Diskusson das Interesse von Westfirmen an einzelnen VEBs erhöht?

Dazu ist sie noch zu frisch. Ich würde aber vermuten, daß sicherlich das Interesse bei 2:1 größer ist als bei 1:1.

Die betriebswirtschaftlichen Kalkulationen sind ausgesprochen schwierig. So ist doch damit zu rechnen, daß die Währungsunion schneller kommt als richtige Bilanzzahlen? Heißt das, daß die Belegschaften auf Gedeih und Verderb der Ansicht der Kombinatsleitung ausgeliefert sind, daß sie zunächst 2:1 zu schlucken haben, um erst dann, wenn gültige Zahlen vorliegen, an Lohnerhöhungen zu denken?

Da stellen Sie mir eine große Gewissensfrage. Ich glaube persönlich nicht, daß wir irgendwo Bilanzen ausweisen können, die aufzeigen, daß Geld für Lohnerhöhungen übrig ist. Deswegen wird erst einmal auch mit den Betriebsräten oder Betriebsgewerkschaftsleitungen ein Konsens gefunden werden müssen, daß die Aufgabe derzeit nicht darin besteht, über Lohnerhöhungen zu diskutieren. Die Frage ist vielmehr, wie ich überhaupt eine Bilanz erreiche, die die Chance hat, schwarze Zahlen zu schreiben. Ich glaube, daß man dieses Verständnis finden wird, aber das wird davon abhängen, welche Umtauschsätze gelten werden.

Wenn er 2:1 ist, geraten sehr viele DDR-Bürger in einen Bereich, wo man sicherlich von einer neuen Armutsgrenze sprechen kann. Dort gibt es mit Sicherheit keine Akzeptanz, und dort wird keine Betriebsgewerkschaftsleitung zu diskutieren bereit sein. Dann geht die Vernunft aus der Sache raus, dann gibt es nur noch Forderungsideologie, die weder das Unternehmen noch die Interessenvertretung der Beschäftigten verkraftet.

Das alles hört sich nach einer deutlichen Trennung an: Zunächst einmal Einverständnis der Gewerkschaft zu Rationalisierungen und Entlassungen, und erst deutlich später wird ausgetestet, wie es mit Lohnerhöhungen steht.

Nein, ich befürchte sogar, daß es keine Mehrheit gibt, die bereit ist, Arbeitskräfte zu entlassen. Es wird Zustimmung zu Rationalisierungen geben, aber nur, wenn zugleich neue Produktlinien aufgebaut werden. Aber dafür werden neue Märkte gebraucht, und das ist nirgendwo auf der Welt ein Prozeß gewesen, der Knall auf Fall passiert.

Es ist in meinen Augen verantwortungslos von einigen Ihrer Politiker, wenn sie sagen, dafür würden nur ein, zwei Jahre gebraucht. Wenn es uns gelänge, in fünf Jahren den Anschluß zu haben und in zehn Jahren das gleiche Niveau, dann schiene mir das wesentlich realistischer zu sein, als den Leuten jetzt wieder etwas vorzugaukeln, das an der Realtität vorbei geht. Ich nehme an, daß in der DDR eine außerordentlich hohe Arbeitslosigkeit herrschen wird.

Könnte es dann so laufen: 2:1 für alle statt 1:1 für die Hälfte?

Ja, ich befürchte, daß sehr viele so denken werden. Aber das wird die Wettbewerbsfähigkeit nicht sonderlich beflügeln. Von der unternehmerischen Seite ist das nicht möglich; da werden sich die Auffassungen von Gewerkschaften und Unternehmern nicht gerade treffen.

Interview: Dietmar Bartz

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