Chefs ohne Arbeitsplatz Belegschaft ohne Rechte

DDR: Allgemeine Verunsicherung auch bei der Umwandlung profitabler Kombinate  ■  Aus Berlin Dirk Asendorpf

Dem Pressesprecher des Kombinats Nachrichtenelektronik fällt es schwer, die Stimmungslage im Betrieb zu umschreiben: „Gedämpft optimistisch mit Unsicherheiten.“ Kein Wunder, schließlich weiß auch Herr Elzholz dieser Tage noch nicht, ob er im nächsten Monat überhaupt noch einen Schreibtisch im Köpenicker Stammwerk haben wird - und noch viel weniger, wo der stehen mag. Das sind die Unsicherheiten.

Optimistisch stimmt Elzholz, daß sein Kombinat zumindest technologisch zur Creme der DDR-Wirtschaft zählt. Richtfunk, digitale Telefonvermittlungsanlagen und andere hochspezialisierte Elektronik gehören zum Sortiment der RFT, mit der Sowjetunion bestehen langfristige Lieferverträge. Entsprechend interessiert zeigten sich denn auch gleich nach Maueröffnung die Westkonzerne. Inzwischen sind schon 12 der 19 Kombinatsbetriebe halbwegs fest unter einem Westdach untergekommen (durch Vorverträge, die freilich noch der staatlichen Genehmigung bedürfen): Der VEB Fernmeldewerk Bautzen bei Philips, der VEB Nachrichtenelektronik Greifswald bei Siemens, die VEB in Arnstadt und Rochlitz bei SEL, und das Stammwerk in Köpenick hat bei Bosch unterschrieben.

Gedämpft wird dieser Optimismus aber, wenn Elzholz an den 1. Juli denkt. Das ist der Stichtag zur Auflösung des Kombinats. Ab diesem Tag müssen sich die einzelnen Betriebe als Kapitalgesellschaften auf dem Markt behaupten. Wieviele der 37.000 Arbeitsplätze dann genau wegrationalisiert werden, das ist noch ungewiß. Aber daß der Arbeitsplatz des Pressesprechers Elzholz dazugehört, ist sicher. Denn die zentrale Verwaltung des Kombinats wird ersatzlos gestrichen. Produktionsplanung, Vermarktung und Außenhandel liegen dann ausschließlich in der Verantwortung der einzelnen Betriebe.

„Unser Ziel im Produktionskampf: 105prozentige Planerfüllung!“ Die große Tafel begrüßt noch heute jeden Besucher des Köpenicker Funkwerkes. Aber „einen Plan gibt es hier schon seit Oktober nicht mehr“, weiß Elzholz. Zur Zeit wird nach vagen Orientierungsgrößen produziert. Ansonsten bemüht sich jeder Betrieb, seine eigenen Devisenfonds zu füllen. „Früher war der Außenhandel ein anstrengender bürokratischer Prozeß“, erinnert sich der Pressereferent. Jede einzelne Materialbestellung mußte zunächst in mehreren Ministeriumsetagen genehmigt werden, Exporte kamen nur auf langwierigen Umwegen an ihr Ziel. „Die Zahlen, die uns bisher verkauft wurden, haben mit dem tatsächlichen Betriebsergebnis ja nur sehr wenig zu tun“, bestätigt auch die gewerkschaftliche Vertrauensfrau Ursula Becker-Roß.

Damit die Belegschaft in Zukunft nicht in gleichem Maße dem Informationsvorsprung des Managements ausgeliefert ist, wie sie bislang der Geheimnistuerei um tatsächlichen Erfolg oder Mißerfolg ihrer Arbeit unterworfen war, hat sie in der vergangenen Woche einen Betriebsrat gewählt. Fast 60 Prozent aller 3.355 Lohn- und GehaltsempfängerInnen des Köpenicker Werks beteiligten sich daran. Am Mittwoch wollen sich die 19 gewählten BetriebsrätInnen zum erstenmal treffen. „Bis dahin müssen wir unheimlich viele Informationen einholen“, hat sich Becker-Roß vorgenommen, die zu den ersten InitiatorInnen der Betriebsratswahl gehört, „wir haben einen großen Aufarbeitungsnotstand.“

Schließlich werden vom neuen Betriebsrat schnelle Entscheidungen verlangt, wenn er an der Prüfung der Kooperationsverträge mit Westfirmen beteiligt wird. Zwar hatte die alte BGL den Verhandlungsergebnissen mit Bosch und SEL zugestimmt, nur das Vertrauen der Belegschaft hatte sie da schon verloren. Von ursprünglich 150 Gewerkschaftsgruppen sind heute nur noch 30 übriggeblieben. „Es war ein richtiges gewerkschaftliches Loch entstanden“, beklagt die Vertrauensfrau.

So enthält zum Beispiel der Vorvertrag mit SEL zwar einen Passus über „soziale Absicherungen“. Doch was die allgemeine Formulierung im Ernstfall konkret bedeuten wird, das muß der neugewählte Betriebsrat nun erstmal überprüfen. „Zum Glück haben wir noch einen sehr hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, und das Engagement der Kollegen ist beachtlich“, freut sich die Gewerkschaftsvertreterin. Andererseits gibt es heute noch nicht mal ein Betriebsverfassungsgesetz, auf das sich der frischgebackene Betriebsrat im Zweifel verlassen kann. Seine Rechte sind unklar.

Allgemeine Verunsicherung gibt es aber auch in der Chefetage. Pressesprecher Elzholz hat sich einen roten Aufkleber über seinen Schreibtisch geheftet, auf dem steht: „Ein neues Weltbild. Bitte.“