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Die verborgene Geschichte von Buchenwald

Über 20.000 Leichen liegen in dem Wäldchen hinter dem ehemaligen KZ / Auch hier war nach 1945 ein sowjetisches Internierungslager / Die Leitung der Gedenkstätte wußte davon / Jetzt soll die Geschichte ausgegraben werden  ■  Aus Buchenwald Brigitte Fehrle

In Buchenwald muß die Geschichte umgeschrieben werden. Dieser Ort deutscher Vergangenheitsbewältigung ist auch ein Ort der Verdrängung, der Verschüttung. Das KZBuchenwald, dessen offizielle Geschichte, wie sie sich im Besuchsprogramm der Gedenkstätte widerspiegelt, am 12. April 1945 endet, hat noch ein zweites, bislang verschwiegenes Kapitel. In dem selben Lager, in dem die Nazis ihre Opfer mordeten, internierte die sowjetische Besatzungsmacht vermeintliche oder tatsächliche Nazis. Sie wurden hier gefangengehalten, Tausende starben. Der Buchenwald hinter dem Lagergelände bringt ein grausiges Massengrab zutage. Bis zu 20.000 sollen hier verscharrt liegen, gestorben an den Bedingungen im Lager, an Hunger, Kälte und Krankheiten.

Mehr als 25 Grad unter Null sollen es im Winter 1946/47 gewesen sein. In diesem Winter hat der Häftling K., er ist heute 86 Jahre alt, bis zu 90 Toten am Tag verscharrt. Zusammen mit einigen anderen gehörte er zum Beerdigungskommando des Internierungslagers Buchenwald. Normalerweise seien es aber nur 30 oder 40 pro Tag gewesen, berichtet Herr K. Aber nicht nur die Toten aus Buchenwald habe er begraben, manchmal seien Züge mit Leichen angekommen, man wußte nicht woher.

Die Angst danach

Das Internierungslager Buchenwald, das „Speziallager Nr.2“ des sowjetischen Geheimdienstes, bestand bis 1950. Interniert wurden politische Häftlinge. Wieviele, das weiß heute niemand. Ehemalige Insassen berichten von vielen Tausenden, die Plätze der Verstorbenen seien beständig „aufgefüllt“ worden. Nie hat dieser Teil der Geschichte Buchenwalds auch nur ein Wort der Erwähnung im offiziellen Teil des Gedenkstättenprogramms gefunden. Dabei haben so viele davon gewußt, auch von den Toten, von den unerträglichen Bedingungen im Lager. Alle haben geschwiegen. Warum?

Angst, sagt der Elektriker HorstP. Wir mußten doch unterschreiben, daß wir nichts sagen. Wir wollten die Familie nicht gefährden. Angst, wieder ins Lager zu kommen. Die Sowjets, so meint er, hätten das ganze System von Angst und Kontrolle, an das die Menschen aus der Nazizeit gewöhnt gewesen seien, übernommen. HorstP. weiß genau, von wem er und die acht anderen, die mit ihm im Sommer 1945 verhaftet wurden, denunziert wurden. „Der ist kurz drauf in den Westen.“ Fünf von den neun haben das Lager nicht überlebt. Auch er hat nicht erzählt, wo er die Jahre zugebracht hat.

Als in der 'Thüringischen Zeitung‘ der erste Artikel über das Internierungslager erschien, hat er am Tisch gesessen und geweint und zu seiner Frau gesagt: „Da, lies, das ist dei'm Mann sein Leben.“ Und die ehemaligen Mithäftlinge? Nein, auch mit denen habe er die ganzen 40 Jahre nicht darüber geredet. Erst jetzt. Nur von weitem hätten sie einander gegrüßt. Er macht es vor, tippt sich mit dem gestreckten Zeigefinger an die Mütze. Nur einmal, kurz nach der Entlassung hätten sie zusammengesessen. Doch der Pfarrer habe sie gewarnt: „Ihr werdet beobachtet.“

Der ehemalige Häftling K. weiß genau, wo die Gräber auf dem Ettersberg sind. Doch es ist kaum nötig, auf sie zu deuten. Das wissende Auge, - so es denn wissen will - sieht die Senken in dem lockeren Waldboden. Rechteckige Vertiefungen auf dem ganzen Gelände. An einer Stelle im Wald ist heute ein Holzkreuz aufgestellt. Die Leiterin der Gedenkstätte KZ -Buchenwald hat es kürzlich aufstellen lassen. Ihre Beteuerungen, man habe von den Toten des Internierungslagers nichts gewußt, zeigen die Verlogenheit des alten Systems und zugleich die Hilflosigkeit derer, die das verordnete einseitige Gedenken übernommen haben.

Denn daß dort in dem Buchenwäldchen Leichen liegen, wußte die Leitung der Gedenkstätte und der Kreisstaatsanwalt schon seit acht Jahren. Damals wurde eine Trasse ausgehoben, für eine Wasserleitung. Der Baggerführer stieß bald auf die Knochen, stellte die Arbeit ein und machte Meldung. Die Entscheidung der offiziellen Stellen: Weiterbauen. Man ging über die Leichen hinweg. Man braucht hier nur wenige Zentimeter tief zu graben und stößt auf die grausigen Reste. Nur diese Knochen zeugen noch von der zweiten Geschichte Buchenwalds. Alle anderen Spuren wurden akribisch entfernt. Die Baracken hinter dem Eingangstor mit der makaber -zynischen Inschrift „Jedem das Seine“, wurden abgerissen. Von den Wandkritzeleien in den Gebäuden sind nur diejenigen erhalten, die aus der Zeit vor 1945 stammen.

Das Schweigen

wird nun gebrochen

Das Erinnern an Buchenwald nach 1945 stört. Am 7. April will die Gedenkstättenleitung Jubiläum feiern und der Opfer des Nazi-Terrors gedenken. Doch inzwischen wird die Geschichte des Internierungslagers nicht nur im wörtlichen Sinne ausgegraben. Erstmals nach Jahrzehnten des Schweigens sprechen die Opfer oder ihre Angehörigen. Die Wende im Land erlaubt das Erinnern. Heidrun Brauer, Lehrerin für Deutsch und Russisch, sammelt die Erfahrungsberichte. Ihr Vater war einer der Internierten aus Buchenwald. Auch er hat nie darüber gesprochen. Erst von ihrer Mutter erfuhr Frau Brauer davon.

In einem Leserbrief in der 'Thüringischen Zeitung‘ wandte sie sich Anfang Februar an Betroffene und bat um Reaktionen. Inzwischen hat sie weit über hundert Briefe erhalten. Von alleingelassenen Frauen, deren Männer verhaftet wurden und nie zurückkamen. Von Männern, deren Jugend erst von Krieg und dann von jahrelangem Lagerleben zerstört wurde. Aus den Briefen spricht Vertrauen zu denen, die ebenfalls gelitten haben. Doch mit dem Erinnern kommt auch der Schmerz. Der Schmerz über das damalige Leid und die verlorene Hoffnung. Ja, es sei schon erleichternd, daß er über all dies einmal reden könne, sagt der ehemalige Häftling Weiß auf dem Ettersberg, aber er habe dann jedesmal eine unruhige Nacht. Mit der Erleichterung fließen auch seine Tränen.

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