Zwei Paar Socken im Fall der Verhaftung

Allein im Bezirk Erfurt hatte die Staatssicherheit Internierungslager für Oppositionelle mit 15- bis 20.000 Plätzen vorgesehen / Die vorbereitenden Pläne stammen aus dem Jahr 1980, der Umsetzungsbeschluß von 1983 / Lager mit Stacheldraht und Wachtürmen  ■  Aus Erfurt Brigitte Fehrle

Die Staatssicherheit hat im letzten Sommer ein perfektes Netz von Internierungslagern aufgestellt, in denen im Krisenfall Oppositionelle eingesperrt werden sollten. Nach Informationen der taz waren allein für den Bezirk Erfurt etwa 15- bis 20.000 Plätze für Andersdenkende und Aufmüpfige vorgesehen. Alle dafür vorgesehenen Objekte waren in Listen erfaßt und mit der genauen Angabe der Kapazität und der dafür vorgesehenen Sicherheitskräfte versehen.

Die vorbereitenden Pläne für die Internierungslager stammen aus dem Jahr 1980. Am 11. August 1980 wies das Ministerium für Staatssicherheit in Berlin die Bezirke an, für einen etwaigen inneren Notstand oder den Verteidigungsfall Internierungspläne auszuarbeiten. Den Umsetzungsbeschluß, unterschrieben vom damaligen Bezirkssekretär Müller, faßte die Stasi Erfurt am 7.Januar 1983. Das größte Lager sollte in Tambach-Diethart südlich von Gotha im zentralen Ausbildungslager der „Roten Jungfront“ der „Gesellschaft für Sport und Technik“ entstehen. Die Stasi wollte allein hier 1.000 Menschen internieren. Binnen 72 Stunden, so sagen es die Pläne, sollte der Gebäudekomplex zum perfekt gesicherten Lager umgerüstet werden. In einem kompletten Einsatzplan wurde festgelegt, wo welche Häftlinge unterzubringen waren, wieviel Sicherheitskräfte nötig sind. Es sollten Wachtürme aufgebaut und das Gelände mit einem doppelten Sicherheitsring umgeben werden.

Der taz liegt eine Liste von Objekten im Bezirk Eisenach vor, die im Falle X als Internierungslager genutzt werden sollten. Weitere Objekte des Bezirks waren unter anderem das Kinderferienlager Crawinkel in Arnstadt mit 100 Plätzen und in Eisenach die Bauarbeiterunterkunft Stregda. Hier sollten 250 Personen interniert werden. Gleich hinter der Stasi -Zentrale Erfurt am Petersberg war die Zitadelle vorgesehen. In Weimar sollte das Jugendtouristhotel umgerüstet werden, und in der Bungalowsiedlung Stausee Hohenfelden wollte die Stasi 250 Menschen internieren. Auch die Stadtwirtschaft Worbis in Worbis war vorgesehen, genauso die ehemalige Untersuchungshaftanstalt Dingelstedt. Weitere Lager waren in Gebäuden und Einrichtungen in Apolda, Arnstadt, Gotha, Heiligenstadt, Langensalza, Mühlhausen, Nordhausen, Sömmerda und Sondershausen geplant.

Das Ministerium für Staatssicherheit hatte die zu verhaftenden Personen in Kategorien eingeteilt und verschiedenen Lagern zugeordnet. In jene aus der der taz vorliegenden Liste sollten Personen interniert werden, die das MfS-Protokoll 0005-99/86 der Kennziffer 4.1.1. zuordnet. Das sind Personen, die „unter dem dringenden Verdacht stehen, staatsfeindliche Handlungen gegen die DDR zu begehen, zu dulden bzw. davon Kenntnis zu haben“. Weiter fielen darunter Leute, die mit „feindlicher Zielstellung den organisatorischen Zusammenschluß von feindlich-negativen gesinnten Personen anstreben bzw. betreiben“, das heißt Leute, die sich für Bürgerinitiativen oder Oppositionsgruppen interessierten oder gar in ihnen mitarbeiteten - aber auch Menschen, die „innerhalb einer staatlich unabhängigen Friedensbewegung aktiv in Erscheinung getreten sind“, sowie Mitglieder von Menschenrechtsinitiativen und Umweltschutzgruppen.

Eine extra Kennziffer - 4.1.3. - widmet die „geheime Verschlußsache“ des MfS-Protokolls „Personen mit verfestigter feindlich-negativer Grundhaltung“. Dazu gehören Leute, die wegen „Staatsverbrechen“ oder DDR-Delikten wie „Rowdytum, Zusammenrottung und öffentlicher Herabwürdigung“ vorbestraft sind - alles Anklagen, die meistens in Zusammenhang mit Demonstrationen erhoben wurden. Die Kennziffer sieht aber auch vor, diejenigen, die Anträge auf Übersiedlung in die BRD gestellt haben, im Notstandsfall zu internieren.

Ausführungsbestimmungen legten das Procedere der Verhaftungen bis ins Detail fest. Selbst Anweisungen für die Ausstattung der Häftlinge fehlten nicht. Zwei Paar Socken sollten sie mitnehmen dürfen, zwei Handtücher, zwei Taschentücher, zwei Garnituren Unter wäsche, Näh-, Schuhputz- und Zahnputzzeug sowie Hygienearti kel.

Das Netz von Internierungslagern überzog die gesamte DDR. Rechnet man die Erfurter Zahl hoch, kommt man auf mehr als 200.000 Plätze. Handstreichartig wollte das Ministerium für Staatssicherheit binnen kürzester Zeit die gesamte Opposition und alle Kritischdenkenden von der Bevölkerung isolieren.

Es ist anzunehmen, daß es in allen Bezirken entsprechende Namenslisten gab. In Gera hatte das Bürgerkomitee eine entsprechende Liste gefunden. Inzwischen wurde sie gestohlen. Auch in Leipzig existiert eine Liste mit Namen derjenigen, die im Notstandsfall zu internieren sind.

Nachdem das Bürgerkomitee Erfurt in der letzten Woche öffentlich gemacht hatte, daß es Internierungspläne gegeben hat, leitete der zuständige Militärstaatsanwalt jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. Anklagepunkt: Verbrechen gegen die Menschlich keit.

Das Erfurter Bürgerkomitee hat allerdings immer noch Arbeitsverbot, weil es die Öffentlichkeit von der Existenz der Internierungspläne unterrichtet hat. Das Bürgerkomitee hat auch Akten über Volkskammerabgeordnete, die ihren Erkenntnissen nach für die Stasi gearbeitet haben, beim Kreisstaatsanwalt hinterlegt. Seit letzten Mittwoch sind inzwischen 10 Mitarbeiter des Komitees im Hungerstreik. Sie fordern die Überprüfung der Volkskammerabgeordneten.