Litauen konfus

Berlin (taz) - Die zaghaft begonnenen Verhandlungen zwischen Litauen und Moskau gestalten sich schwieriger als erwartet. Das litauische Parlament stimmte gestern über eine Erklärung ab, in der der Wille zur Unabhängigkeit bestätigt wird. Dies soll eine Antwort auf Gorbatschows Forderung vom Wochenende sein. Darin hatte sich Gorbatschow hinter die Moskauer Militäraktionen gestellt und von Vilnius die Rückkehr zur sowjetischen Verfassung verlangt. Während die TASS-Berichte aus Moskau von da an suggerierten, alles wäre jetzt in Butter, saßen die litauischen Abgeordneten, die bis zuletzt an eine Kompromißbereitschaft Gorbatschows glaubten, vor einem Scherbenhaufen, dem sie durch Wiederholung ihrer Position zu entkommen hoffen.

Eine am Dienstag „ohne konkreten Plan“ (so der litauische Abgeordnete Bickaukas) in Moskau eingetroffene Delegation führte am Mittwoch ergebnislose Gespräche, die von Moskau als „positiv“ bezeichnet wurden. Präsident Landsbergis gab währenddessen Interviews in aller Welt, in denen er erklärte, daß Moskau seinen wirtschaftlichen Verpflichtungen nicht nachkomme und daß außerdem Washington ja das letzte Wort in Sachen Unabhängigkeit habe. Diese wenig hilfreichen Formulierungen wurden sogleich von Moskau gekontert: für die in Litauen stationierten Grenztruppen wurde eine Urlaubs und Ausgangssperre verhängt. Beide Seiten kündigten verschiedene Maßnahmen zur Verstärkung ihrer respektiven Grenztruppen sowie zur Einrichtung von Sperren und Kontrollpunkten auf verschiedenen Straßen an.

Der Nervenkrieg geht also weiter. Am Mittwoch demonstrierten 4.000 Menschen in Vilnius für eine Ablösung der litauischen Regierung und den Verbleib in der Union. Während der Kundgebung kam es zu Handgreiflichkeiten. Und auch Estland gefällt Gorbatschow immer weniger. Mit scharfen Worten teilte er dem estnischen Parlamentspräsidenten Rüütel mit, die vom estnischen Parlament angenommene Erklärung zur Wiederherstellung der Republik sei unannehmbar. Doch weder Estland noch Litauen scheinen zu wissen, wie sie der jüngsten gegen sie gerichteten Einheitsfront in Moskau begegnen sollen.

D.J.